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Keine Versöhnung ohne Anerkennung

Von Martyna Czarnowska

Politik

Der Vizepremier des Kosovo hofft auf eine Wende im Dialog mit Serbien und Visafreiheit für seine Landsleute.


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"Wiener Zeitung":Seit wenigen Wochen hat der Kosovo eine neue Regierung, eine Koalition aus einem schier unübersichtlichen Geflecht aus Parteien und Bündnissen. Wird diese es schaffen, was bisher nicht gelungen ist: für die Bürger des einzigen Staates auf dem Westbalkan, die noch ein Visum für die EU brauchen, Reisefreiheit zu erreichen?

Enver Hoxhaj: Wir waren nicht glücklich, als wir gesehen haben, dass der Kosovo für die Visaliberalisierung doppelt so viele Standards erfüllen muss wie Serbien, Mazedonien oder Albanien. Diese Länder hatten 45, 50 Kriterien zu befolgen, bei uns waren es 96. Doch war das ein Faktum, und wir mussten unsere Hausaufgaben machen. Aber auch wenn die EU in vielen Bereichen dafür zu kritisieren ist, lag es in den vergangenen zwei Jahren vor allem an Pristina, dass eine Bedingung nicht erfüllt wurde.

Ein Grenzabkommen mit Montenegro, das eine der letzten Voraussetzungen für die Befreiung von der Visumpflicht ist . . .

Weil die alte Regierung diese Vereinbarung nicht zustande gebracht hat, ist sie auseinandergefallen. Das Thema soll nun im Jänner oder Februar im Parlament diskutiert werden. Bis März soll das Abkommen ratifiziert werden. Damit werden wir das letzte Kriterium der EU erfüllen.

Der jetzige Ministerpräsident Ramush Haradinaj sah den Vertrag aber ebenfalls skeptisch. Will er nun einlenken?

Wir haben eine Kommission aufgestellt, die sich mit der Angelegenheit befassen soll. Sie soll einen Bericht erstellen und eine genaue Einschätzung der Lage liefern. Dann müssen wir eine Entscheidung treffen. Wenn eine Sache kompliziert ist, ist es nicht die Aufgabe von Politikern, sie komplizierter zu machen.

Wird die nationalistische Opposition, die auch schon mit Tränengasangriffen im Parlament den Vertrag verhindert hat, mitspielen?

Wir müssen eine innenpolitische Lage schaffen, in der die Opposition – wer immer das gerade ist – die Regierung bei bestimmten nationalen Themen unterstützt. Ich hoffe, dass der neue Ausschuss genaue Erkenntnisse liefert, die wir dann im Parlament diskutieren können, bevor es zur Ratifizierung kommt. Das ist keine zwischenstaatliche Frage, denn mit Montenegro haben wir ausgezeichnete Beziehungen. Es ist ein innenpolitisches Thema mit einer außenpolitischen Dimension.

Eine zwischenstaatliche Frage ist jedoch die Anerkennung des Kosovo, der 2008 seine Unabhängigkeit erklärt hat. Die akzeptieren Serbien und einige andere Staaten – darunter die EU-Mitglieder Spanien, Zypern, Griechenland, Rumänien und die Slowakei – nicht. Kritisieren Sie die EU auch dafür?

Ja, denn die EU tut nichts, um das zu ändern. Doch wir benötigen die Hilfe der Europäer und den europäischen Fokus. Wir sind der jüngste Staat in Europa – wir brauchen Aufmerksamkeit, politische und finanzielle Unterstützung. Wir werden im nächsten Jahr hart arbeiten, um den EU-Kandidatenstatus zu erhalten: Wir sind das einzige Land in der Region, das diesen noch nicht hat. Die fünf Staaten, die uns nicht anerkennen, sind ein Hindernis auf unserem Weg in die Union.

Kosovo hätte auch gern einen Sitz in den Vereinten Nationen. Ist das ohne Anerkennung möglich?

Ja, es gibt Staaten, die einen UN-Sitz haben, ohne dass alle Länder sie anerkennen.

Beim Kosovo kommt aber hinzu, dass Serbien dem zustimmen müsste und vor allem Russland kein Veto im UN-Sicherheitsrat einlegen dürfte. Warum sollte das mit Belgrad befreundete Moskau seine Blockade aufgeben?

Wir haben einen Dialog mit Serbien in den vergangenen sieben Jahren geführt und das Verhältnis zwischen den beiden Ländern verbessert. Es gibt eine gute technische Zusammenarbeit, einen Austausch zwischen unseren Wirtschaften, Gesellschaften. Aber wir müssen diesen Dialog in eine Endphase führen, die es uns ermöglicht, einen UN-Sitz zu bekommen. Wenn Serbien nichts dagegen hätte, hätten auch Russland oder andere Staaten weder rechtlich noch moralisch einen Grund, Kosovos Antrag zu blockieren.

Russland würde die Zustimmung Serbiens genügen? Moskau verfolgt ja oft eine eigene Agenda.

Es ist nicht Russland, sondern Serbien, das behauptet, der Kosovo sei ein Bestandteil von ihm. Daher müssen wir daran arbeiten, unsere Beziehungen zu Belgrad zu normalisieren. Beide Seiten sollen ein verbindliches Abkommen erreichen. Das bedeutet gegenseitige Anerkennung. Wenn Serbien uns anerkennt, kann Russland uns nicht blockieren.

Der Dialog zwischen Pristina und Belgrad verläuft aber schleppend. So sind unter anderem die Verwaltungsregeln für die serbischen Gemeinden im Kosovo noch immer nicht fixiert. Wann werden die Gespräche, die unter Vermittlung der EU laufen, wieder aufgenommen?

Wir haben in diesem Jahr keine großen Fortschritte bei der Umsetzung der Vereinbarungen erreicht. Es gab Wahlen in Serbien und dem Kosovo, und in Pristina haben wir lange gebraucht, um eine Regierung zu bilden. Doch in der Zwischenzeit haben die zwei Staatspräsidenten, Aleksandar Vucic und Hashim Thaci, einander getroffen und darüber gesprochen, wie sie den Dialog in die Endphase führen können. Das soll eben resultieren in: einem UN-Sitz, gegenseitiger Anerkennung und danach einem Versöhnungsprozess zwischen den beiden Gesellschaften.

Ohne Anerkennung keine Versöhnung?

Es wäre naiv zu glauben, dass wir ohne Anerkennung einen Versöhnungsprozess zwischen Kosovo und Serbien haben könnten. Es gibt genug Beispiele in der europäischen Geschichte, die zeigen, dass zuerst die politische Agenda geändert werden muss, die die Staaten in einen Konflikt gebracht hat. Glauben Sie, dass Deutschland und Frankreich sich hätten versöhnen können, wenn die Grenze zu Frankreich noch umstritten wäre?

Die Oder-Neiße-Grenze wurde erst in den 1990er Jahren endgültig anerkannt. Den Versöhnungsprozess mit Polen hat Deutschland jedoch viel früher begonnen.

Deutschland hatte in der Zwischenzeit aber keine territorialen Ansprüche auf Polen gestellt. Das ist etwas völlig anderes.

Serbiens Präsident Vucic hat vor kurzem einen Essay veröffentlicht, in dem er seine Landsleute zu mehr Realismus aufruft. Dahinter steckt die Forderung, sich damit abzufinden, dass der Kosovo für Serbien verloren sei. Bringt das eine neue Dynamik in die Gespräche zwischen den Nachbarn?

Was Präsident Vucic getan hat, war richtig und notwendig. Wir versuchen zu verstehen, in welche Richtung er nun steuern möchte. Uns ist bewusst, dass der Kosovo nicht die Frage Nummer eins ist, die die Menschen in Serbien bewegt. Es ist auch nicht Nummer zwei oder drei, nicht einmal zehn. Doch auch wenn es erst das dreizehntwichtigste Thema in der serbischen Innenpolitik ist, dann wird es von den Politikern abhängen, Lösungen zu finden. Parallel dazu brauchen wir einen Dialog in der Gesellschaft. Wir sollten einander kennenlernen und keine Vorurteile haben statt einer vermeintlichen Realität anzuhängen, die aber nicht existiert.

Wann also geht der Dialog weiter?

Ob es noch heuer zu weiteren Treffen kommt, lässt sich noch nicht sagen. Aber ich glaube, im kommenden Jahr können wir eine Wende erwarten.

2018 wird das entscheidende Jahr? Das Grenzabkommen mit Montenegro, die Gespräche mit Serbien – große Herausforderungen für die neue Regierung . . .

Die neue Regierung muss jedenfalls jene Elemente der Staatsbildung, die wir noch nicht umgesetzt haben, zusammenfügen. Dieser Prozess muss zu Ende geführt werden. Der Dialog mit Serbien, das Abkommen mit Montenegro, der europäische Weg und Visaliberalisierung sind Prioritäten. Der Fokus liegt ebenso auf der Gründung einer eigenen Armee – der Umwandlung der jetzigen Sicherheits- in Streitkräfte.

Wird sich Belgrad dem nicht entgegenstellen?

Wir müssen unsere Kosovo-Serben dazu bringen, im Parlament dafür zu stimmen. Eigene Streitkräfte sieht schon der Plan für den Kosovo vor, den der damalige UN-Vermittler Martii Ahtisaari vor knapp zehn Jahren vorgelegt hatte. Das ist also nicht nur unser Wunsch, sondern eine internationale Verpflichtung. n