Menschenrechtsverletzungen, Todesurteile: Oppositionelle sehen Ägypten auf gefährlichem Weg.
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Wien. Auslandsägypter können schon zu den Urnen schreiten, alle anderen Bürger des bevölkerungsreichsten arabischen Landes bestimmen am 26. Mai einen neuen Präsidenten. Doch eine wirkliche Wahl können sie nicht treffen. Der ehemalige Militärchef Abdul Fattah al-Sisi tritt gegen Hamdien Sabahi, ein von linken Parteien unterstützter Alibi-Kandidat, an. Die Wahl ist entschieden, bevor sie begann, denn Al-Sisi genießt enorme Popularität. Die einzige politische Kraft, die ihm gefährlich werden könnte, die islamistischen Muslimbrüder, sind in die Illegalität gedrängt.
Todesurteile gegen680 Islamisten
Seit dem Sturz des von den Muslimbrüdern unterstützen Mohammed Mursi vor knapp einem Jahr entwickelt sich Ägypten konsequent in Richtung Militärdiktatur. Die führenden Köpfe der Muslimbrüder wurden verhaftet, die Partei verboten, dann sogar zur Terrororganisation erklärt. Blutige Zusammenstöße zwischen Mursi-Anhängern und -Gegnern gehören seitdem zur Tagesordnung, Presse- und Meinungsfreiheit sind massiv eingeschränkt, Foltervorwürfe wiegen schwer. Zuletzt sorgten Todesurteile gegen 680 Islamisten international für Empörung. Die Ägypter, die sich 2011 gegen Hosni Mubarak auflehnten und international alle Sympathien auf seiner Seite hatten, fallen, so scheint es, in düstere vorrevolutionäre Zeiten zurück.
Al-Kaida als Nutznießerder Staatskrise
Heftige Kritik am herrschenden Regime in Kairo wurde am Freitag im Wiener Presseclub Concordia laut. Anwesend waren unter anderen Norman Finkelstein, US-Politologe und Autor des Buches "Die Holocaust-Industrie", mit dem er eine höchst kontroversielle Debatte über Erinnerungskultur lostrat. Finkelstein kritisierte den Sturz Mohammed Mursis als "konspirativen Akt". Dass zuvor, wie behauptet, 22 Millionen Unterschriften gesammelt worden seien, die den Rücktritt Mursis forderten, glaubt Finkelstein nicht: "Das ist nicht realistisch." Die Muslimbrüder, so die Überzeugung des Wissenschafters, hätten politisch auch dann nicht überlebt, wenn sie alles richtig gemacht hätten. Die Gegner der Muslimbrüder seien zu stark, die Unzufriedenheit mit der islamistischen Regierung enorm gewesen. Allerdings hätte es die Chance gegeben, Mursi mit demokratischen Mitteln loszuwerden - für Finkelstein der einzig richtige Weg.
Mit am Podium war George Galloway, Menschenrechtsaktivist und ehemaliger Abgeordneter des britischen Parlaments. Er bezeichnete den Sturz Mursis als "illegalen Coup", das neue Regime als "Militärjunta" mit Blut an den Händen. Der Sturz Mursis sei nicht gut für Ägypten, nicht gut für alle Araber und Muslime, denn er sorge für Radikalisierung und spiele damit der Al-Kaida direkt in die Hände. "Nichts könnte ihren Zielen besser dienen als das", so Galloway, der unter Mubarak ägyptische Gefängnisse auch von innen kennenlernte. Doch die derzeitige Situation in Ägypten sei schlimmer als unter Mubarak. Das Land könne nicht ausschließlich von den Muslimbrüdern, aber auch nicht unter Ausschluss der Islamisten regiert werden, so das Fazit.
Die ägyptisch-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin Ayat Orabi wies auf die zahlreichen Menschenrechtsverbrechen in Ägypten hin. Frauen würden regelmäßig vergewaltigt, die politische Führung bezeichnet sie als "verbrecherische Bande". Das Land sei längst "außer Kontrolle" geraten.
"Gehorsamer Dienerdes Volkes"
Al-Sisi, der tatsächlich bei vielen Ägyptern enorme Verehrung genießt, präsentiert sich unterdessen ganz als gehorsamer Diener des Volkes. Sollte es Massendemonstrationen gegen ihn geben, dann werde er fragen: "Was wollt ihr? Ich werde Euren Befehlen Folge leisten.‘" Die Armee werde er nicht gegen das Volk einsetzen. Vielmehr handle die Armee "entsprechend dem Volkswillen".
Die Muslimbrüder haben andere Erfahrungen gemacht.