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Wenn man die laufende Debatte um Korruption und Korrumpierbarkeit ganzheitlich angehen will, muss man jene Akteure beachten, die oft eine wichtige Rolle im Karussell der Korruption spielen.
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Scharen von Gutachtern und Experten liefern manchen wissenschaftlich fundierte, seitenlange Alibis. Die Praxis - oder besser: die Unsitte -, jede politische oder wirtschaftliche Entscheidung durch ein Gutachten absichern zu müssen, stieg proportional mit der neuen Politikergeneration, die einerseits aus Mangel an persönlichem Standing beziehungsweise Risiko- und Verantwortungsbereitschaft anstehende Entscheidungen auf mehr oder weniger profilierte Experten abschiebt.
Viele Bürger fragen sich längst, wozu sie diesen Politikern ihre Stimme gegeben haben, wenn die sie wieder um oft viel Steuergeld an Experten weitergeben. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere blinkt den Experten als Lockruf entgegen, das richtige (verwendbare) Ergebnis zu liefern.
Wenn man heute von Mut- und Wutbürgern spricht, könnte man sich fragen, was dies mit dem angerissenen Thema zu tun hat. Sind es nicht oft jene Experten, die den entscheidungsschwachen Politikern für deren manchmal fragwürdige Projekte wissenschaftliche Alibis liefern? Gerade da sollte die Gewissenserforschung, besonders der jungen Generation von Wissenschaftern und Forschern, ansetzen, den Weg der gezielten Verweigerung zu gehen und nicht nur auf den schnöden Mammon zu schielen, der letztlich nur das Trostpflaster oder die Medizin gegen das schlechte Gewissen, wider die innere Überzeugung gehandelt zu haben, darstellt.
Um was und wen geht es beim Gebrauchswert von Studien und Expertisen? In erster Linie - und das hat jeder Akademiker bei der Überreichung seines Diploms, Doktorats feierlich versprochen - um den Wert seiner wissenschaftlichen Arbeit, der immer nach bestem Wissen und Gewissen orientiert an den aktuellen Stand der Wissenschaft hoch zu halten ist. Mit der Ausübung wissenschaftlicher Praxis ist eine besondere Ethik verbunden, die als höchster Wert für das Ergebnis stehen soll. Kritische Wissenschaft war und ist ein Garant für Demokratieentwicklung.
Gerade heute, in Zeiten des globalen Werteverfalls, in denen nahezu alles den Gesetzen der Gewinnmaximierung geopfert wird, haben Intellektuelle und kulturbewusste Wissenschafter die Chance, eine richtungsweisende Rolle in einer orientierungslosen Gesellschaft zu spielen. Nichts ist so einfach und gleichzeitig so schwierig, nicht immer ja, sondern viel öfter nein zu sagen, wenn die Verlockungen des Establishments zu anpassbarem und angepasstem wissenschaftlichen Rat nötigen.
Wissen macht frei, lautet heute der revolutionäre Spruch unmündiger Lohnabhängiger in vielen Generationen von Studierenden und Akademikern aus der Arbeiterschaft in Zeiten der "Akademiker-Überproduktion", wo es den Anschein hat, dass das Studium schon das Ziel und ein Job noch in weiter Ferne ist.
Der wissenschaftlichen Elite kommt die Rolle der Mediation und Moderation gesellschaftspolitischer Umwälzungen zu, wie uns dies die sogenannten Entwicklungsländer vorzeigen.
Franz Witzeling ist Soziologe und Psychotherapeut.
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