Statt auf andere Länder zu schielen, sollte Österreich lieber auf gemeinsame europäische Maßnahmen setzen.
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Noch vor wenigen Monaten galten sie als Corona-Musterschüler. In seinen wöchentlichen Updates erwähnte auch Kanzler Sebastian Kurz die Vorreiterrolle von Ländern wie Singapur, Neuseeland und Israel im Kampf gegen die Pandemie und den gemeinsamen Austausch. Und obwohl es so schien, als sei man dort tatsächlich über den Berg, werfen aktuell ansteigende Infektionszahlen und Maßnahmen jede Menge Fragen auf. Die wichtigste wäre wohl: Warum will sich unsere Regierungsspitze an geografisch, gesellschaftspolitisch und rechtlich grundverschiedenen Ländern orientieren und messen?
Oft verweist der Kanzler auf Singapur, jenen (zumindest bis zur Corona-Krise) wirtschaftlich erfolgreichen Inselstaat in Südostasien, dessen Bewohner autoritär regiert werden. Als es Tagestouristen noch möglich war, in Singapur einzureisen, mussten sie sich vor allem mit der strengen Gesetzeslage vertraut machen. Denn auf die Einfuhr von Medikamenten mit verbotenen Inhaltsstoffen steht jahrelange Haft. Auch die Todesstrafe wird in Singapur, das sich gerne kosmopolitisch präsentiert, weiterhin angewendet. Besonders viele Gastarbeiter, die in Massenquartieren auf engstem Raum leben, haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Die Corona-Tracking-App ist bei der Bevölkerung jedoch nicht auf die erhoffte breite Akzeptanz gestoßen. Deshalb werden jetzt Tokens verteilt - ein Pendant zu den in Österreich diskutierten Schlüsselanhängern -, die in Singapur verpflichtend sind.
Während Singapur Touristen die Einreise nur mit einer 14-tägigen Quarantäne erlaubt und sich damit als internationales Konferenzzentrum selbst aus dem Spiel nimmt, setzt Neuseeland auf völlige Abschottung. Hundert Tage lang sei es im pazifischen Inselstaat zu keiner Neuinfektion mehr gekommen, verkündete die Regierung stolz, bis neue Fälle in Auckland auftauchten. Wie lange steht ein Land diese Selbstisolation durch, ohne in eine wirtschaftliche Abwärtsspirale zu geraten? Für erhebliches Aufsehen sorgte neulich die Kritik des australischen Wirtschaftsjournalisten Adam Creighton: Die größte Industrie des erfolgreichen Nachbarlandes, der Tourismus, liege in Trümmern. Experten rechnen mit einer Verdoppelung der Arbeitslosenrate in Neuseeland spätestens im Herbst.
Und dann ist da noch Israel, wo die Menschen bereits seit Wochen gegen die vor Monaten noch vielgelobte Corona-Politik von Premier Benjamin Netanjahu auf die Barrikaden steigen. Die Bevölkerung trauert keineswegs dem Lockdown nach, sondern lässt vielmehr ihrer Wut über die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie freien Lauf. Die Regierung Netanjahu wird nicht die letzte sein, die für die massiven Wirtschaftseinbrüche verantwortlich gemacht wird.
Österreich, das bisher glimpflich durch die Corona-Krise gekommen ist, braucht keine Vorbilder und Vergleiche zu suchen, denn die Krise und ihre Nachwirkungen sind nicht überstanden. Vielmehr sollte die Regierung verstärkend auf gemeinsame europäische Maßnahmen setzen, statt auf Länder zu schielen, die nicht wirklich zu beneiden sind.