Die Sache mit der Volksherrschaft ist nicht ohne Haken. Die christliche Minderheit der Kopten in Ägypten kann davon ein traurig Lied singen: Der Sturz des Diktators hat nichts daran geändert, dass deren Gläubige und Kirchen weiterhin zur Jagd freigegeben sind. Von einer Wende kann in diesem Fall wohl keine Rede sein.
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Natürlich stimmt der Hinweis, dass auch wir Europäer Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte, gebraucht haben, um mit unseren Minderheiten ein halbwegs zivilisiertes Auskommen zu finden. In einigen Regionen ist das übrigens bis heute nicht der Fall. Wie sollten wir es dann von Menschen in Gegenden erwarten können, die mit dem Modell eines liberalen, demokratisch verfassten Rechtsstaats noch nie in Berührung gekommen sind!?
Dass Demokratie nur ein begrenztes Mittel für begrenzte Ziele sein kann, über der keine wie auch immer imaginierte Gemeinschaft schwebt, sondern die einzig allein dazu dienen soll, die Freiheit, Unantastbarkeit und Würde des Einzelnen zu gewährleisten - für diese Einsicht braucht es Zeit. Mitunter sogar sehr viel Zeit.
Ob die christlichen Kopten - und mit ihnen alle anderen ethnischen und kulturellen Minderheiten in der Region - so viel Zeit haben oder sie sich nicht vorher zur völligen Assimilation an ihre Umwelt gezwungen sehen, ist heute mindestens so ungewiss wie vor dem Sturz der Diktatoren.
Mehr Zeit wünscht sich derzeit wohl auch der Westen, um prüfen zu können, welchen Kräften man sich künftig in Nordafrika gegenübersieht. Genau vermag das nämlich heute niemand zu sagen. Und dennoch müssen irreversible Entscheidungen getroffen werden. Eine Gesellschaft, deren Medien non-stop von den Krisenherden der Welt berichten, erwartet von ihren Regierungen die gleiche Unermüdlichkeit. Nachdenkpausen sind in Live-Berichten nicht mehr vorgesehen.
Im Falle Libyens ist Frankreich nun vorgeprescht und hat die Rebellen als legitime Regierung anerkannt. Präsident Sarkozy, der immerzu Dynamische, schlägt sogar Luftangriffe vor.
Hoffentlich hat die Grande Nation einen Plan und will nicht nur aktionistisch das verheerende Bild reparieren, das durch die peinlich engen Kontakte mit dem Diktator in Tunis entstanden ist.