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Keine Zeit für Bürden der Vergangenheit

Von Martyna Czarnowska

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Die Länder des Westbalkan richten ihre Aufmerksamkeit lieber | auf ihre Zukunft in der EU denn auf ihre jüngere Geschichte.


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Für die Vergangenheit hat Kroatien im Moment keine Zeit. Gerade hat es die Verhandlungen mit der Europäischen Union abgeschlossen, es bereitet sich auf die Aufnahme in die Gemeinschaft, auf die kommenden Parlamentswahlen und das Referendum über den EU-Beitritt vor. Da gingen die Feiern zum 20. Jahrestag der Erklärung der Unabhängigkeit unter.

Und so richten auch andere Staaten des Westbalkan ihre Aufmerksamkeit lieber auf Brüssel denn auf die Region. Zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall Jugoslawiens - dessen je nach Sichtweise in den ehemaligen Teilrepubliken unterschiedlich gedacht wird - streben die Länder danach, wieder Teil eines Größeren zu werden: der Europäischen Union. An Kroatien können sie sich ein Beispiel nehmen, befand Staatspräsident Ivo Josipovic - und versprach schon, dass sein Land für die Nachbarn "die Tür offen halten" werde.

Doch bei aller Hoffnung für die Zukunft sind die Staaten die Bürden der jüngeren Vergangenheit noch lange nicht los, was auch ökonomische Auswirkungen hat. Die Wirtschaftsleistung Serbiens und Bosnien-Herzegowinas liegt ein Viertel unter dem Niveau von 1990. Im Kosovo ist fast jeder Zweite arbeitslos. Serbien und der Kosovo ringen gerade in mühsamen Annäherungsgesprächen um Ein- und Ausfuhrbestimmungen ihrer Waren. Etliche Vermögens- und Eigentumsfragen sind - wie auch Probleme der Flüchtlingsrückkehr - noch nicht völlig gelöst.

So forderten erst heuer wieder Organisationen von Serben, die aus Kroatien geflohen waren, Belgrad dazu auf, mehr Einsatz bei der Klärung von Vermögensangelegenheiten in Kroatien zu zeigen. Den Verbänden geht es dabei beispielsweise um rund 45.000 Wohnungen, in denen Serben vor dem Krieg das Wohnrecht hatten. Später konnten diese Wohnungen recht günstig erworben werden - aber eben nicht von den Vertriebenen, die durch die Flucht das Recht darauf verloren hatten. Schätzungen zufolge leben in Serbien noch immer mehr als 60.000 aus Kroatien geflohene Menschen.

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Es kümmere ihn nicht, ob es wie ein Klischee klingt oder nicht, befand der montenegrinische Premierminister Igor Luksic: Aber er sei nun einmal davon überzeugt, dass die Bewältigung der Vergangenheit der beste Weg sei, in die Zukunft zu gehen. Die Aussage war eine Unterstützungserklärung für die Initiative Rekom.

Zu diesem Bündnis haben sich hunderte Nichtregierungsorganisationen aus dem ganzen Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zusammengeschlossen. In einer Unterschriftenaktion forderten sie die Etablierung regionaler Historiker-Kommissionen, die sich mit der "Aufarbeitung der Fakten über Kriegsverbrechen und andere Vergehen gegen Menschenrechte" in Ex-Jugoslawien in den Jahren zwischen 1991 und 2001 befassen sollen. Denn jeder Staat stellt die Ereignisse aus seiner Sicht dar - und beantwortet die Fragen nach Schuld und Verantwortung unterschiedlich. Auch die Vereine selbst haben sich erst nach langen Diskussionen auf eine Basis einigen können.

Nun beklagt Rekom mangelndes Interesse einiger Politiker. So hätten die Staatschefs Serbiens, Mazedoniens und des Kosovo keine Zeit gefunden, die Petition zur Etablierung der Historiker-Kommissionen entgegenzunehmen. Doch auch innerhalb der Bevölkerung stießen die Organisatoren nicht auf den erhofften Zuspruch. Eine halbe Million Menschen hatte die Initiative mit ihren Unterschriften unterstützt. Es hätte aber eine Million werden sollen.