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"Keine Zeit für Enttäuschung"

Von Martyna Czarnowska

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Georgien will bis Jahresende die Vorbereitungen für die Abschaffung der Visumspflicht abschließen.


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Spät in der Nacht funkeln und glitzern sie noch immer. Die in den Himmel schießenden Türme der Hotel- und Büropaläste an der Strandpromenade in Batumi prägen auch abends die geschwungene Silhouette des Küstenabschnitts. Sie erinnern nicht so sehr an frühere Zeiten des Glanzes; vielmehr wollen sie eine neue Ära verkünden. Vor mehr als hundert Jahren war die georgische Stadt ein bedeutsamer Schwarzmeer-Hafen, büßte aber später als Teil der Sowjetunion massiv an Gewicht ein. Nun möchte sie als Touristen-Magnet reüssieren - und die Besucher bleiben nicht aus. Auch Investoren aus Europa und Asien fühlen sich angezogen; zwischen Altstadt und Strand ziehen sie immer mehr neue Bauten hoch. So mancher von ihnen kommt aus der benachbarten Türkei, die nicht einmal zwanzig Kilometer weiter südlich liegt. Türken investieren jedoch nicht nur, sondern gönnen sich auch einmal einen Kasino-Besuch, der in ihrem Land so nicht möglich ist. Geld und Touristen kommen aber ebenfalls aus Russland. Der Konflikt mit dem Nachbarn im Norden und die Loslösung der Regionen Abchasien sowie Südossetien haben nicht jede wirtschaftliche Beziehung zerstört.

Politisch allerdings hat sich Georgien einem anderen Weg verschrieben. Und der soll die Südkaukasus-Republik in die EU führen. Der Union durch das Programm der östlichen Partnerschaft verbunden zu sein, ein umfassendes Handelsabkommen abgeschlossen zu haben - das ist nicht das endgültige Ziel. Das Land strebt eine engere Anbindung an die EU an, bis hin zur Mitgliedschaft dort. "Georgiens europäischer Weg" war denn auch der Titel einer hochrangig besetzten internationalen Konferenz in Batumi, die das Staatsministerium für europäische und euro-atlantische Integration organisiert hat.

Dabei hätten die Georgier durchaus Grund zur Enttäuschung. Für ihr Bekenntnis zu Europa zahlten sie ihren Preis: Russland setzte den Nachbarn nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich unter Druck. Das Handelsembargo traf beispielsweise die Weinproduzenten hart. Doch wurde die georgische Regierung nicht müde zu betonen, dass sie sich von ihrem EU-Kurs nicht abhalten lassen wolle und die Reformbemühungen fortgesetzt würden. Von der EU bekommt das Land zwar anerkennende Worte und finanzielle Unterstützung im Wert von rund hundert Millionen Euro pro Jahr - aber eine Beitrittsperspektive ist nach wie vor nicht in Sicht. Selbst die ersehnte Abschaffung der Visumspflicht wurde verschoben. Reisefreiheit erhalten die Georgier erst Anfang, Mitte des nächsten Jahres. Vielleicht.

Von Enttäuschung will dennoch kein Regierungsvertreter reden. Das wäre ein Luxus, für den die Zeit fehle, formuliert es Staatsminister David Bakradze. Stattdessen gelte es, bis Jahresende alle Voraussetzungen für die Visabefreiung abzuschließen, die Bevölkerung besser zu informieren sowie die Möglichkeiten zu nutzen, die das Freihandelsabkommen mit der Union seit September bietet. Immerhin ist nach Angaben des Wirtschaftsministeriums der Wert der Ausfuhren georgischer Produkte in die EU allein heuer um 30 Prozent gestiegen. Hürden für den Warenverkehr sind nun einmal wohl leichter zu überwinden als jene für den Personenverkehr.