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Keine Zeit für Politik

Von Eva Bachinger

Politik

Wählen kann man in Österreich ab 16, aber die politische Bildung selbst ist in den österreichischen Schulen ein Randgebiet.


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Wien. "Ich habe mich nicht ausgekannt und ich wollte einen tieferen Einblick in das politische Geschehen", sagt die 17jährige Schülerin Linda. Sie besucht ein Oberstufenrealgymnasium in Wien und hat sich im Herbst 2013 für das Wahlpflichtfach "Politische Bildung" entschieden. Zwei Stunden pro Woche sind politischen Themen gewidmet. Für Linda gehört das zur Allgemeinbildung.

Ob aus dem Freifach ein Pflichtfach werden soll? Sicher ist sie sich nicht: "Zwang bringt nie wirklich was. Aber das Fach ist schon sehr wichtig." Sie hat den Eindruck, dass sich viele ihrer Mitschüler nicht oder noch nicht für Politik interessieren, manche seien einfach unsicher: "Manche gehen nicht wählen, weil sie sich nicht auskennen". Linda diskutiert mit ihren Eltern zu Hause über Politik und natürlich geht sie wählen. Bei der Volksbefragung zur Zukunft des Bundesheeres vor einem Jahr hat sie ebenso teilgenommen wie bei der letzten Nationalratswahl.

Politische Bildung ist in den österreichischen Schulen im Rahmen des Geschichtsunterrichts in der Oberstufe als verpflichtendes Modul verankert. Seit 1978 gilt das Unterrichtsprinzip "Politische Bildung", das besagt, dass Politik fächerübergreifend unterrichtet werden soll. Schulen können das Thema im Rahmen eines Wahlpflichtfaches zudem autonom anbieten.

"Viel zu wenig Politik", kritisiert Anton Pelinka
Das hat zur Folge, dass Politik je nach Schultyp und Engagement der Lehrer unterschiedlich vermittelt wird. Ob Politik vorkommt, ist vom Zufall abhängig, wie der Politikwissenschaftler Anton Pelinka kritisiert. "Obwohl Politische Bildung integrativer Bestandteil des Geschichte-Unterrichts sein soll, wird es aus Zeitmangel oft viel zu wenig gemacht. Wenn man sich damit ernsthaft auseinandersetzt, muss man Zeit investieren, und die haben wir angesichts des vielen Lehrstoffes oft nicht", erzählt eine Lehrerin.

Bei der Nationalratswahl 2013 konnten in Österreich erstmals 16-jährige wählen. Rund 63 Prozent dieser Erstwähler gingen auch zur Wahl. Auch bei der kommenden EU-Wahl sind zumindest in Österreich auch die Stimmen ab 16 wieder gefragt. Laut Eurobarometer 2014 sind Jugendliche unter 25 Jahre gegenüber der EU nicht so negativ eingestellt: 37 Prozent haben ein positives Gesamtbild. Nur rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung sieht die EU ähnlich positiv. Ein Drittel der Jugendlichen meint, dass die EU-Mitgliedschaft dem Land eher Vor- als Nachteile einbringt, 38 Prozent finden, dass sich Vor- und Nachteile die Waage halten.

Wenige wissen über die EU Bescheid
Dennoch: Das Wissen über die EU ist erschreckend gering – nicht nur bei Jugendlichen. Sowohl von Medien als auch österreichischen Politikern wird vieles auf "die EU" geschoben, kaum jemand differenziert zwischen den einzelnen EU-Institutionen und den komplizierten Abläufen.

Das EU-Parlament lädt Journalisten, die nicht als EU-Korrespondenten vor Ort arbeiten, regelmäßig ein, die Plenarsitzungen in Strassburg oder Brüssel mitzuverfolgen, Abgeordnete zu treffen und zu sprechen. Doch das Angebot wird kaum wahrgenommen, erzählt ein Pressesprecher der österreichischen Delegation. Die Folge sei, dass selbst Polit-Journalisten oftmals nicht zwischen den Aufgaben der EU-Institutionen unterscheiden und sie richtig erklären würden.

"Mangel an Bildung ist fruchtbarer Boden für Verdruss"
"Populisten sagen gerne: Das hat uns die Europäische Union eingebrockt, obwohl die nationalen Regierungen ihre Politik mit Hilfe der europäischen Institutionen durchsetzen," sagt der Publizist Robert Misik. Er hat gemeinsam mit dem EU-Abgegordneten für die Grünen, Michel Reimon, ein Buch geschrieben mit dem Titel "Supermarkt Europa" – darin geht es unter anderem darum, was in den letzten Jahren in der EU schief gelaufen ist.

Das Versagen der Politik ist für Misik aber nicht der einzige Grund für das Misstrauen gegenüber der Politik: Mangelndes Wissen über politische Realitäten und Möglichkeiten sowie eine oftmals negative Deutung von Kritik sind Folgen eines Bildungsdefizits. "Der Mangel an politischer Bildung oder an qualitätsvollen Debatten ist natürlich ein fruchtbarer Boden für Verdruss."

Johanna Tradinik, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung tritt deshalb vehement für die flächendeckende Einführung eines Schulfachs "Politische Bildung" ab der fünften Schulstufe ein. "Die Senkung des Wahlalters war ein wichtiger Schritt, doch alleine damit ist es nicht getan. Bei der Politischen Bildung besteht noch Aufholbedarf. Junge Menschen wünschen sich vor allem mehr Informationen und den Dialog mit Politikern und Politikerinnen", erklärte Tradinik bei einer Präsentation der EU-Kampagne "junge.stimmen.für.europa". Alle Studien würden zeigen, dass informierte Wählberechtigte auch eher wählen gehen. "Genau aus diesem Grund müssen wir über ein Pflichtfach "Politische Bildung" ab der fünften Schulstufe nachdenken", sagt auch Jugendministerin Sophie Karmasin.

Verteilungskampf an den Schulen
Doch mit Nachdenken alleine wird es nicht getan sein. Zwar hat scheinbar niemand etwas gegen "Politische Bildung" als Schulfach, aber ist den Beteiligten das Thema wichtig genug, um auch entsprechend zu budgetieren? Derzeit läuft ein Verteilungskampf an den Schulen: Um Politische Bildung als Fach etablieren zu können, müssten andere Freifächer gekürzt oder gestrichen werden – wenn nicht zusätzliche Stunden zur Verfügung stehen. Neue Stunden sind in absehbarer Zeit kaum in Aussicht: Das Bildungsministerium hat kein Geld für zusätzliche Angebote, sondern muss im kommenden Budgetjahr 57 Millionen Euro einsparen.

Wie sich die Einsparung in allen Richtungen bereits jetzt konkret auswirkt, schildert Johann Gebetsberger, Direktor am Oberstufenrealgymnasium Vöcklabruck. Die Schüler wurden vor zwei Jahren selbst initiativ: "Unsere Schülervertreter haben sich Politische Bildung als zusätzliches Angebot gewünscht, weil sie sich in politischen Belangen nicht gut genug orientiert gefühlt haben." Schließlich wurden im Rahmen des Kontingents von sogenannten Poolstunden, die jede Schule für zusätzlichen Unterricht nutzen kann, zehn Blöcke zu je zwei Stunden als Freifach geschaffen.

Das Interesse ist groß
Den Unterricht übernahm Gebetsberger, der auch Geschichtslehrer ist. "Es war überraschend, wie groß das Interesse ist, obwohl die Schüler ohnehin sehr viel zu tun haben. Wir hatten 40 Anmeldungen und mussten zwei Gruppen bilden. Die Schüler sind auch zu eher ungünstigen Unterrichtszeiten zahlreich erschienen." In dem Unterricht ging es um die politischen Parteien und die Frage des Wählens. "Es soll aber nicht nur Staatskunde gelehrt werden, sondern die Jugendlichen sollten vom Thema emotional berührt werden und das Gefühl haben, dass sie politisch mitgestalten können" erklärt Gebetsberger.

Auch über Aktuelles und über schulpolitische Themen wurde intensiv diskutiert. Doch nun wurden neun Stunden aus dem Poolreservoir gestrichen, nicht nur Politische Bildung ist betroffen, auch der musische Bereich. "Es wird leider alles zu Tode gespart", sagt der Pädagoge. Er hält nicht nur das Fach, sondern auch eine entsprechende Ausbildung für Wesentlich: "Manche Kollegen sind verunsichert. Schließlich handelt es sich hier um einen hochsensiblen Bereich. Es soll ja nicht zur politischen Einflussnahme kommen. Dafür braucht es auch großes Vertrauen."

Vorerst müssen die "Aktionstage Politische Bildung" reichen. Vom 23. April bis 9. Mai steht anlässlich der EU-Wahlen Europa im Mittelpunkt der Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Frauen. In 150 Workshops, Filmvorführungen, Ausstellungen und Theaterstücken werden für Schulklassen, Lehrkräfte und alle anderen Interessierten werden verschiedene Themen wie der Zweite Weltkrieg, der Eiserne Vorhang und der Mauerfall aufgegriffen. Auf Dauer sind solche Aktionstage wohl nicht genug: "Die Schule ist aus meiner Sicht schon entscheidend", meint Anton Pelinka Politische Bildung muss in der Schule passieren."