Zum Hauptinhalt springen

Keine Zuwanderer, kein Geld

Von Stefan Beig

Politik
Vielfalt in den Unternehmen ist eine Chance - und in Wahrheit schon oft eine Realität.
© © © JGI/Jamie Grill/Blend Images/

Deutschland und Österreich haben hochqualifizierte Arbeitskräfte verpasst.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. "Es ist keine gute Zeit, ein Ausländer zu sein", bemerkte kürzlich der "Economist". Fremdenfeindliche Parteien gewinnen in Europa an Boden, und auch US-Präsident Barack Obama konnte seine versprochene Reform der Zuwanderungspolitik nicht umsetzen. Dabei sollten die Regierungen abseits von der Stimmungslage in der Bevölkerung eine anderen Aspekt der Zuwanderer berücksichtigen, findet die britische Wochenzeitschrift, nämlich "deren wachsende wirtschaftliche Bedeutung und den Beitrag, den sie zum Wirtschaftswachstum eines Landes leisten".

Ins gleiche Horn stößt auch der deutsche Volkswirtschafter Klaus F. Zimmermann. "Gute Zuwanderungspolitik ist entscheidend für das Wirtschaftswachstum." In unserem zunehmend mobileren Zeitalter finde bereits ein weltweiter Wettbewerb um die besten Köpfe statt. "Dieser Wettbewerb wird zunehmen, da ist es wichtig sich hier zu positionieren." Um darin zu bestehen, "muss man offen sein". China hat sich etwa explizit das Ziel gesetzt, in diesem Bereich bis zum Jahr 2050 weltweit führend zu sein. "Sie wollen sich als Weltmacht positionieren", meint Zimmermann, der auch Honorarprofessor an der Renmin-Universität in Peking ist. Mittlerweile importiere China auch Personen aus Europa, Australien und den USA.

Klaus Zimmermann lehrt an der Uni Bonn und ist darüber hinaus Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit, einer Forschungseinrichtung, die sich unter anderem mit Maßnahmen wie der kürzlich in Österreich beschlossenen Rot-Weiß-Rot-Karte befasst hat, freilich schon bevor sie eingeführt worden ist. "So ein Punkte-Sytem gibt es schon seit vielen Jahren in Kanada und Australien", erzählt Zimmermann. Die Beispiele zeigten, dass es sich auszahlt: "Beide Länder haben heute gut qualifizierte Kräfte." In Europa fehlten solche Vorbilder noch, und insofern ist Österreich hier Vorreiter.

Hochqualifizierte Fachkräfte in Mangelberufen, Schlüsselkräfte und Studienabsolventen können die Rot-Weiß-Rot-Karte kriegen und sind damit zur Niederlassung in Österreich und zur Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber berechtigt. Ihre Familienangehörigen erhalten ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis. "Wir haben ein ähnliches Programm entworfen", erzählt Zimmermann. Die Rot-Weiß-Rot-Karte sei "eine gute Richtung, ein Fortschritt, ein Vorbild." Es gelte nun, es auch nach außen transparent zu gestalten und den Menschen genau zu erklären. Um zu bestimmen, was hochqualifizierte Fachkräfte sind, gebe es etwa sehr viele Kategorien. Und es sei auch sehr schwierig, jedes Jahr festzulegen, was Mängelberufe sind. Das österreichische System sei etwas komplizierter, als es sich Zimmermann vorstellen würde. Insofern müsse man jetzt abwarten, wie praktikabel es ist.

"Der Schritt von Österreich war etwas unerwartet", betont Zimmermann. Gerade Österreich hat nämlich zu jenen EU-Staaten gehört, die sich am längsten geweigert haben, ihren Arbeitsmarkt auch für osteuropäische Zuwanderer zu öffnen. "Vielleicht hat Österreich aus dieser Erfahrung gelernt", mutmaßt der Ökonom. Deutschland und Österreich haben durch ihre verspätete Arbeitsmarktöffnung etwa "die hochqualifizierten Leute aus Polen verpasst". Die Polen sind alle nach England gewandert.

"Chance verpasst"

Das Beispiel zeige: "Die Befürchtung, dass Zuwanderer nur Probleme für die aufnehmende Wirtschaft bringen, stimmt nicht." Profitiert von der Öffnung des EU-Arbeitsmarkts für neue Mitgliedsländer haben Schweden, Irland und England, jene Staaten, die die Öffnung nicht hinausgezögert haben. "England war überrascht - ich auch", meint Zimmermann. Flüge nach England wurden billig und die jungen Polen können sehr gut Englisch. "Wir haben eine historische Chance verpasst." Eine Öffnung, die nach Arbeitsmarktkriterien vorgeht, müsse auch eine zirkuläre Migration zulassen. Migranten könnten dann kommen und gehen. Zumindest eine Annäherung an doppelte Staatsbürgerschaften böte daher pragmatische Vorteile, weil sie genau diese Mobilität der Menschen fördere, die es innerhalb der EU bereits gibt. "In Europa hat man faktisch die Staatsbürgerschaft aller Länder."

Wegen der zunehmenden Mobilität heutzutage hält auch der "Economist" die Sorge, dass arme Länder unter der Migration leiden werden, für übertrieben. Migranten würden oft Geld in ihre Herkunftsländer senden und - ausgestattet mit besseren Qualifikationen - zurückkehren. Die Zeitschrift betont auch die Effizienz von neuen Netzwerken, die durch Diaspora-Communitys entstehen.

"Europa braucht einen flexiblen Arbeitsmarkt", sagt Klaus Zimmermann. Überall fehlten kurzfristige Arbeitsverträge, denn viele wollen nicht dauerhaft wandern. Außerdem ist der Wirtschaftsexperte überzeugt: "Vielfalt zahlt sich aus." Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit seien keine Bedrohung, sondern ein Vorteil. Angst vor wachsender Ausländerfeindlichkeit hat er nicht: "Es ist ein empirisch belegtes Faktum: Ethnische Spannungen nehmen nur dort zu, wo die Zuwanderung nichts mit dem Arbeitsmarkt zu tun hat." Die Ausrichtung des Arbeitsmarkts auf Zuwanderer sei daher eine gesellschaftspolitische Aufgabe.

Ob bald auch Asylwerber Zugang zum Arbeitsmarkt haben werden, bleibt abzuwarten. Zimmermann betont: "Ich möchte nicht die notwendige humanitäre Zuwanderung gegen die arbeitsmarktpolitische ausspielen."