Wien - Die Erweiterung der Europäischen Union läuft auf Hochtouren. Alte Barrieren wie der Eiserne Vorhang sind ohnedies schon gefallen, der EU-Beitritt der Nachbarstaaten Ungarn, Tschechien, Slowakei und Slowenien ist nur mehr eine Frage der Zeit. Ein Ereignis, dem vor allem von Seiten der österreichischen Wirtschaft mit Freude entgegengesehen wird. Andererseits herrscht aber auch ein gewisses Maß an Verunsicherung.
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Beispiel Tschechien: Zumeist wird unser nördlicher Nachbar mit einem bedrohlichen Kernkraftwerk und einer völlig unverständlichen Sprache, die sich durch einen überproportionalen Konsonantengebrauch auszeichnet, in Zusammenhang gebracht. Im August des vergangenen Jahres wurde zwischen Östereichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein und dem tschechischen Vizepremier Vladimir Spidla ein Abkommen unterzeichnet, das hier völlig neue Perspektiven eröffnen könnte. Um "die guten nachbarschaftlichen Beziehungen weiter auszubauen", heißt es da, will man durch den "gegenseitigen Austausch von Arbeitnehmern berufliche wie sprachliche Kenntnisse weiter ausbauen". Der übrige Inhalt kurz gefasst: Sowohl junge Österreicher mit Berufs- oder sonstiger Ausbildung, als auch junge Tschechen aller Bildungs- und Berufssparten sollen für den Zeitraum von 6 bis 18 Monaten auf die Walz geschickt werden und relativ problemlos bei Firmen des jeweils anderen Landes anheuern können. Die Zulassungsvoraussetzungen sind leicht zu erbringen: Neben den notwendigen Basissprachkenntnissen sind ein Alter zwischen 18 und 35 Jahren sowie Berufspraxis in irgendeiner Art vonnöten.
"Ein erster Schritt in Richtung Freizügigkeit im Personenverkehr", wie Ingrid Nowotny, zuständige Beamtin im Wirtschaftsministerium, die den Vertrag mitverhandelt hat, gegenüber der "Wiener Zeitung" meint. Da die Freiheit auch Grenzen haben muss, wird sich das Abkommen voraussichtlich auf ein Kontingent von einigen hundert Personen beschränken.
Die ganze Sache hat allerdings noch weitere Haken: Einerseits muss das Abkommen als Regierungsvorlage vom außenpolitischen Ausschuss des Parlaments in Wien behandelt und dann im Plenum beschlossen werden. Ein Termin dafür ist noch nicht in Sicht. Die Tschechen sind da schon etwas weiter: Im zuständigen Ausschuss im Prager Parlament wird die Angelegenheit bereits behandelt, wie Pavel Horak von der Tschechischen Botschaft der "Wiener Zeitung" mitteilte.
Andererseits bleibt noch abzuwarten, welche Formen die neu gewonnen Freiheit annehmen wird. Ein ähnliches Praktikantenabkommen gibt es bereits mit Ungarn - insgesamt 600 MagyarenInnen werkten im vorigen Jahr in Österreich in jenen Bereichen, wo der Bedarf an ausländische Arbeitskraft traditionell hoch ist. Dass auch tschechische Arbeitnehmer in den niederösterreichischen Grenzregionen sehr willkommen wären, kann Bernhard Eisner vom Arbeitsmarktservice (AMS) Niederösterreich nur bestätigen: Vor allem Wirte, Metzger und Spediteure warten jetzt schon ungeduldig auf tatkräftige Unterstützung aus dem Norden. "Ein Kontingent von 600 bis 1000 Personen wäre durchaus angemessen", so Eisner in Richtung hohe Politik.
Nur eine einzige Anfrage
Der "Pilotversuch" mit Ungarn hat allerdings auch gezeigt, dass es sich bei der neu gewonnenen Freiheit erwartungsgemäß um eine Einbahnstraße handelt: "Kein einziger Österreicher hat bisher das Abkommen dafür genutzt, um nach Ungarn zu gehen, so Ingrid Nowotny. Nachgeforscht beim AMS konkretisiert sich der ernüchternde Befund: Es gab insgesamt nur eine einzige Anfrage einer Österreicherin, die über diesen Weg Berufserfahrung sammeln wollte. Geworden ist aus der ganzen Sache schließlich nichts.
Das hat einen einfachen Grund. Wer als Österreicher Arbeit in einem der benachbarten Beitrittswerberstaaten annimmt, tut dies über einen großen österreichischen oder internationalen Konzern. Den kärglichen Lohn, der von tschechischen oder ungarischen Firmen gezahlt wird, will kaum jemand auf sich nehmen. Von der sprachlichen Herausforderung einmal ganz abgesehen. Eine finanzielle Förderung für Österreicher mit derartigen Ambitionen gibt es ebenfalls nicht.
Hofrat Ernst Troll, Direktor der HAK Gmünd, vermag hier keinen Silberstreif am Horizont auszumachen. In seiner Schule gibt es zwar für junge Tschechen die Möglichkeit, einen Vorbereitungslehrgang zu absolvieren, einige werden dann sogar ins Regelschulwesen übernommen und können an der HAK Gmünd maturieren. Von Seite der österreichischen Schüler ist das Interesse Tschechisch zu lernen allerdings gleich null. Troll kann sich daher auch nicht vorstellen, dass seine Schüler von der Möglichkeit, ein Praktikum in Tschechien zu absolvieren, in Zukunft Gebrauch machen würden.
Der Österreicher Bernhard Seyer hat es mit viel Engagement und trotz aller Widrigkeiten dennoch geschafft, Arbeitspraxis bei einem tschechischen Unternehmen zu sammeln. Acht Wochen workte der Schüler in einem Prager Hotel, bezahlt wurde ihm allerdings nichts. Als Financier musste der Herr Papa hinhalten, der als Verantwortlicher für slawische Sprachen im Niederösterreichischen Landesschulrat überdies gute Kontakte zu unserem nördlichen Nachbarn pflegt.