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"Keiner soll weinen, wenn er in Russland Geld verliert"

Von Klaus Huhold und Michael Schmölzer

Politik
Tschechiens Außenminister Jan Lipavsky im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
© Michael Schmölzer

Tschechiens Außenminister: Geschäfte in Putins Reich, wie sie österreichische Firmen betreiben, sind risikoreich.


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Der tschechische Außenminister Jan Lipavsky hat eine klare Haltung zu Russland und den Sanktionen. Im Rahmen des Europa-Forum Wachau sprach er mit der "Wiener Zeitung", warum er überzeugt ist, dass die europäische Solidarität mit der Ukraine hält - und warum man derzeit keine Geschäfte in Russland machen sollte.

"Wiener Zeitung": Sie bezeichnen sich als stolzen Europäer. Sind Sie damit in Tschechien, wo sich in Umfragen immer wieder eine große EU-Skepsis äußert, eine Ausnahme?Jan Lipavsky: Nein. Ich denke, jeder Tscheche ist ein stolzer Europäer. Wir schätzen unsere Präsenz im Herzen von Europa. Das muss sich nicht unbedingt in Umfragen widerspiegeln, in denen es um die Beliebtheit der EU geht. Ich kämpfe auf alle Fälle für die Prinzipien, auf denen die EU gegründet wurde. Sie ist kein rein ökonomisches Projekt, es geht nicht nur um Agrarfonds und Ähnliches, sondern sie ist auch ein Friedensprojekt mit einer gemeinsamen Außenpolitik. In Zeiten, in denen wegen des aggressiven russischen Imperialismus der Krieg zurück in Europa ist, müssen wir uns dessen bewusst sein. Wir haben zehn Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet, und ich hoffe, das nächste Sanktionspaket kommt bald - und all diese Pakete werden in Brüssel beschlossen.

Nun sind besonders österreichische Firmen in Russland weiter aktiv, die Raiffeisen Bank International fährt zum Beispiel milliardenschwere Gewinne ein und der Manager Siegfried Wolf plant laut Berichten, trotz Krieges in ein Autowerk zu investieren. Vermissen Sie hier die Konsequenz?

Hier ist einmal anzumerken, dass alle Sanktionspakete einstimmig in Brüssel beschlossen werden - also sowohl mit der Stimme Österreichs als auch der Tschechiens. Ich denke, dass Österreich selbst seine Außenpolitik bestimmen muss. Es ist somit die Entscheidung der österreichischen Politik und Geschäftswelt, welches Risiko sie eingehen wollen. Meine Ansicht dazu ist klar: In den kommenden Jahrzehnten wird es kein gutes Geschäftsumfeld, kein Business as usual mit Russland geben. Die neue Sicherheitsstrategie, die wir in Tschechien gerade ausarbeiten, hat einen klaren Grundsatz: Russland wird für Jahrzehnte eine Bedrohung für Europa darstellen - unabhängig davon, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht. Nur ein grundlegender Wandel in der russischen Gesellschaft kann das ändern - auf den ich aber nicht zählen würde. Ich denke, das ist eine klare Nachricht an jeden Geschäftsmann, wenn es darum geht, wo er sein Geld investiert. Tschechische Geschäftsleute haben verstanden, dass es besser ist, woanders auf Investitionen zu setzen.

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt auf einen langen Atem und darauf, dass den Europäern aufgrund der Inflation die Luft ausgeht. Droht die europäische Einheit zu zerbröseln?

Die europäische Bevölkerung wird nicht ihre Geduld mit humanitären Werten verlieren. Denn sie sind der Grundbaustein der europäischen Zivilisation. Russland bombardiert in der Ukraine Städte, zerstört Infrastruktur und tötet Frauen und Kinder. Es begeht Massenmord und betreibt Kolonialisierung. In der westlichen Zivilisation gibt es einen starken Willen, die Ukraine in ihrem Kampf für Souveränität, territoriale Integrität, Frieden und freie Wahlen zu unterstützen. Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde in freien Wahlen gewählt - das ist eine Erfahrung, die Wladimir Putin fehlt.

In der Slowakei könnte ein Regierungswechsel unmittelbar bevorstehen. Die Unterstützung Bratislavas für die Ukraine wäre dann unter Umständen Geschichte. Wie schätzen Sie die Lage ein, und wie werden Sie reagieren? Immerhin sind Tschechien und die Slowakei Partner im Visegrad-Format?

Visegrad ist eine Diskussionsplattform. Manchmal finden wir eine gemeinsame Position, sehr oft nicht. Die unterschiedlichen Narrative bezüglich Russland, etwa zwischen Polen und Ungarn, machen die Sache nicht einfacher. Was ich höre, ist, dass die Slowakei ein Problem mit Desinformation hat.

Der tschechische Präsident Petr Pavel hat gesagt, dass er angesichts der schleppenden Fortschritte nicht von der ukrainischen Offensive enttäuscht ist. Wie beurteilen Sie die Lage?

Präsident Selenskyj ist dazu verpflichtet, sein Land zu schützen. Das hat er geschworen, als er vereidigt wurde. Er hat keine andere Wahl, als das komplette ukrainische Territorium von den Invasoren zu befreien, inklusive der Krim. Das Territorium ist international anerkannt, wir reden von den Grenzen von 1991. Wenn Selenskyj um Hilfe ruft - und das ist der Ruf einer freien Nation, die von einer Diktatur angegriffen wird -, haben wir die Verpflichtung, ihm zu helfen. Es war klar, dass er die komplette Befreiung der Ukraine nicht in einem Tag bewerkstelligen kann. Da gibt es vieles zu berücksichtigen. Aber: Die ukrainischen Männer und Frauen kämpfen für ihre Familien. Schauen Sie, was in Butscha geschehen ist. Schauen Sie, was nach der Charkiw-Offensive ans Tageslicht gekommen ist. Gefolterte Menschen, getötete Familien. Die Ukraine schützt ihre Bevölkerung. Ja, es wird Opfer geben, aber die Ukrainer kämpfen für die Befreiung ihrer Nation. Die Russen betrachten die Ukraine nicht als selbständigen Staat. Und das sollte eine Warnung für alle Manager sein, die denken, dass man mit solchen Leuten Geschäfte machen kann. Am nächsten Tag könnten die sagen: Das gehört gar nicht dir, das ist unseres. Und sie stehlen es. Sie werden das tun, und sie haben es schon getan. Geschäfte machen hat immer mit der Abwägung von Risiken zu tun, und das sollte einberechnet werden. Und niemand sollte weinen, wenn er dann Geld verliert.

Tschechien hat bereits sehr viele Waffen in die Ukraine gesandt. Wird es auch weiterhin die Bereitschaft dazu geben? Oder wäre es vielleicht möglich, dass Tschechien sogar mehr Waffen liefert, wenn etwa in einigen Wochen die Slowakei ausfallen sollte?

Wir waren die Ersten, die Panzer, Helikopter in einem relevanten Umfang geliefert haben. Wir haben eine starke Industrie, die gewillt ist, der Ukraine in ihren Bemühungen zu helfen. Ich will nicht spekulieren, was genau in der Zukunft sein wird. Aber Tschechien bekräftigt seine Verpflichtung, die Ukraine so stark wie möglich zu unterstützen. Das ist nicht einfach, aber soweit ich es verstehe, kann die österreichische Industrie hier wegen der Neutralität nicht tätig werden.

Eine weitere heikle Außenbeziehung ist die zu China. Droht die EU in Sachen China in die Russland-Falle zu tappen - dass es die imperialen Ambitionen Chinas unterschätzt?

Wir sollten bei unseren Beziehungen zu China sehr achtsam sein. Es ist einerseits ein wichtiger Handelspartner, konfrontiert uns aber auch mit Risiken und Herausforderungen - in Bezug auf die multilaterale Ordnung und seinen globalen Aufstieg. Wir müssen deshalb gewisse Sektoren schützen, etwa unser intellektuelles Eigentum und unser Know-how.

Sprechen Sie sich auch mit Blick auf Russland und China für eine EU-Erweiterung aus?

Das betrifft vor allem die Republik Moldau und die Ukraine. Russlands imperiale Ambition ist es, die Ukraine und dann vielleicht auch Moldau zu kolonialisieren. Die Ukraine kämpft nun auf Leben und Tod darum, Teil der westlichen Zivilisation sein zu können, Mitglied der EU und auch der Nato zu werden - und wir unterstützen diese Ambitionen. Bezüglich des Westbalkans geht es vielmehr darum, dass die dortigen Staaten von europäischen Ländern umgeben sind, und ich hoffe, dass ihre Zukunft in der EU liegt. Dafür müssen sie aber noch viele Hausübungen erledigen, und wir müssen diesen Prozess würdigen. Die EU ist ein Friedens- und Wohlstandsprojekt, das hoffentlich auch den Westbalkan umfassen wird.

Gehen wir davon aus, dass der Krieg in der Ukraine eines Tages vorbei sein wird: Wie ist es vorstellbar, dass wir in Zukunft mit einem Nachbarn leben, wie Russland es derzeit ist?

Um nicht wieder einen Krieg zu haben, müssen wir vorbereitet sein. Unsere Antwort lautet, dass wir in der Nato sind und den Einfluss Russlands zurückdrängen. Und ich bin froh, dass wir auch auf EU-Ebene in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eine solche Politik zustande bringen. Hier müssen wir versuchen, die Bedrohung, die von Russland ausgeht, einzudämmen. Vielleicht kommt es zu einem gewissen Wechsel in Moskau, aber ich würde nicht darauf wetten. Wir müssen dann zu einem gewissen Modus Operandi kommen. Aber die harte Basis ist die Schaffung von Sicherheit.

Ist Putin ein Kriegsverbrecher?

Ja.