Zum Hauptinhalt springen

Kenia wählt im Schatten der Macheten

Von Ronald Schönhuber

Politik

Verfeindete Stämme bestimmen die Kür des Präsidenten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nairobi. Egal ob man aus dem Nordwesten über Uganda kommt oder aus dem Süden aus Tansania, der Unterschied wird sofort deutlich: Die Straßen sind breiter und es gibt weniger Schlaglöcher, die Busse chinesischer Bauart, die an den zahlreichen neu gebauten Haltestellen ihre Passagiere aufnehmen, sind sichtlich jünger und damit weniger klapprig als in den Nachbarländern. Sogar eine Klimaanlage gibt es in vielen Fällen, auch wenn diese so gut wie nie eingeschaltet wird.

Kein Zweifel, Kenia ist in Ostafrika das, was die Englischsprachigen hier gerne als "powerhouse" bezeichnen. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von knapp 42 Milliarden Dollar stellt der 42-Millionen-Einwohner-Staat die größte Volkswirtschaft der Region dar und auch beim BIP-pro-Kopf-Wert liegt man mit 1800 Dollar deutlich über den Nachbarstaaten. In den vergangenen Jahren fungierte Kenia zudem als eine Art Brückenkopf in den ostafrikanischen Raum. Wer auch immer wirtschaftlich in der Region Fuß fassen wollte, machte zuallererst in Nairobi Station. Überall in der knapp drei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt sind heute die Niederlassungen der internationalen Konzerne zu sehen, ganz gleich ob es sich um Pwk-Hersteller, Futtermittelproduzenten oder die chemische Industrie handelt. Der Boom vollzog sich dabei so schnell, dass die Infrastruktur kaum mithalten konnte. Auch wenn chinesische Ingenieure überall im Umkreis der Stadt fleißig Autobahnen und Schnellstraßen bauen, quält man sich die allermeiste Zeit nur im Schritttempo durch die Stadt.

Doch der wirtschaftliche Aufschwung, auf den die Menschen hier so stolz sind, steht in den kommenden Wochen auf dem Spiel. Sechs Jahre nach dem letzten Urnengang im Jahr 2007, in dessen Folge das Land in bürgerkriegsähnliche Zustände gestürzt war, sind die Kenianer am Montag aufgerufen, einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Und ebenso wie damals, als die von den rivalisierenden Kandidaten aufgehetzten Horden mit Macheten und Speeren durch die Straßen zogen und knapp 1200 Menschen töteten, verläuft auch diesmal die Frontlinie entlang der kaum zu überwindenden ethnischen Grenzen. Gewählt wird ein Politiker in Kenia nicht wegen seiner Persönlichkeit, seines Programmes oder seier Wahlkampfauftritte, sondern wegen seiner Stammeszugehörigkeit.

Angeklagt in Den Haag

Einer der beiden Favoriten für das Präsidentenamt ist Uhuru Kenyatta, der zur größten Ethnie der Kikuyu gehört. Der 51-Jährige, der der älteste Sohn des ersten kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta ist, gilt als mutmaßliche Mitanstifter der blutigen Unruhen des Jahres 2007. In diesem Zusammenhang läuft gegen ihn ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof, von der kenianischen Wahlkommission wurden Kenyatta und sein ebenfalls in Den Haag angeklagter Stellvertreter William Ruto aber zugelassen, weil es noch keine Schuldsprüche gibt.

Kenyattas größter Rivale ist der derzeitige Premierminister Raila Odinga vom Stamm der Luo. Der 68-Jährige, der sich bereits zum dritten Mal um das Präsidentenamt bewirbt und von den Meinungsforschern an erster Stelle geführt wird, war auch schon 2007 in den Umfragen deutlich vorangelegen. Nach dem von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten Urnengang wurde allerdings sein damaliger Konkurrent Mwai Kibaki mit knappem Vorsprung zum Sieger erklärt - die Initialzündung für die wochenlangen Unruhen.

Die Sorge, dass es auch diesmal so weit kommt, macht sich schon seit Tagen überall im Land breit. Zwar schwärmen die Kandidaten in den TV-Debatten von einem "Kenya Unite", also einem vereinten Kenia, doch dass viele in der Bevölkerung nach den Wahlen eher mit Krieg als mit Frieden rechnen, wird bereits vielerorts offensichtlich. Die Menschen decken sich so gut es geht mit Lebensmitteln ein, Geschäfte und Fabriken schließen für die Zeit der Wahl und die Versicherungsbranche erlebt schon seit sechs Monaten eine verstärkte Nachfrage nach Produkten, die auch politische Unruhen abdecken. Noch wesentlich beunruhigender erscheint allerdings eine andere Entwicklung. Laut dem Bericht einer aus 30 verschiedenen Organisationen bestehenden Gruppe, die sich für ein friedliches Zusammenleben in Kenia einsetzt, hat der Verkauf von Macheten in einigen Landesteilen zuletzt sprunghaft zugenommen. "Egal ob zur Verteidigung oder für einen Angriff, gewisse Gruppen im Land bewaffnen sich", heißt es in dem Bericht. Darüber, dass viele bereit sind, sich notfalls auch mit Gewalt Gehör zu verschaffen, besteht kein Zweifel. "Wenn Odinga nicht gewinnt, dann werden wir auf die Straße gehen und demonstrieren. Unsere Schreie müssen gehört werden", sagt der 27-jährige Lutas. Der Odinga-Anhänger, der in Kibera, dem wahrscheinlich größten Slum Ostafrikas lebt, ist laut eigenen Angaben auch schon 2007 mit einem Schlagstock bewaffnet durch die Straßen gezogen.