Die Lage im Irak ist unverändert prekär - sind die jüngsten kleinen Verbesserungen eine nachhaltige Trendwende zum Besseren? Die Bush-Administration ist bescheiden geworden. | "Kennen Sie das Ende?" Das ist die berühmte Frage, die General David Petraeus im März 2003, als die US-Truppen auszogen, um das Regime von Saddam Hussein zu stürzen, dem Journalisten Rick Atkinson stellte. Und auch nach dem nüchternen Irak-Fortschrittsbericht von Petraeus ist das immer noch die entscheidende Frage. Das Problem ist nur: Es gibt bis heute keine gute Antwort auf diese einfache Frage.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wie man jetzt über den Irak denkt, ist zum Teil ein Maßstab dafür, wie man in der Vergangenheit darüber gedacht hat. Vor diesem Hintergrund scheint Petraeus das US-Vorgehen nach dem Versuch-Irrtum-Prinzip unbedingt verlängern wollen, um die Nation, die 2003 zertrümmert worden ist, doch noch neu aufzubauen.
Aber gleichzeitig hat er mit dem noch für heuer angekündigten Beginn des Truppenabzugs doch ein Ende der Mission in Aussicht gestellt. Für die mittlerweile ungeduldigen und kriegsmüden US-Bürger ist das genau die richtige Einstellung: Das Gewonnene zu festigen, während man über das Ende des Einsatzes keinen Zweifel lässt.
Die Bush-Regierung gibt sich nun der Überzeugung hin, sie habe rechtzeitig die Kurve gekratzt. Doch von einigen Regierungsbeamten war doch zu hören, dass die jüngsten Erfolge im Irak nicht das sind, was man erwartet hatte: Niemand hatte mit dem Nachlassen der Gewalt in Anbar gerechnet oder mit dem Bündnis mit den sunnitischen Stammesführern gegen die Al-Kaida. Das hat sich so ergeben, aber Teile der US-Regierung sehen sich nun auf dem richtigen Weg, die Al-Kaida endgültig zu besiegen.
Das Problem ist aber, wie manche Regierungsbeamte richtig erkennen, dass im Irak keine Aussöhnung gelingen will. Also versucht man es mit einem neuen Ansatz, einem dezentralen, lokalen: "Bottom-up" (von unten nach oben), lautet in den USA das Schlagwort des Monats. Dass das allerdings eine viel schwächere irakische Regierung (als die USA ursprünglich wollten) bedeutet, dessen ist man sich ebenfalls bewusst. Das scheint aber niemanden mehr sonderlich zu stören.
Als Petraeus die irakische Armee ausbildete, sprach er gern von amerikanischen "Pop-ups" (Aufspring-Einheiten), die wie Milizkämpfer völlig unerwartet auftauchen, aber mit mehr Kampfeifer als normale Soldaten. Ganz im Gegensatz zu anderen Kommandeuren ist Petraeus flexibel genug, sich den Gegebenheiten anzupassen: Er richtete seine Strategie nach den vorgefundenen "Pop-up-Möglichkeiten" aus, statt zu versuchen, alles in vorgefertigte Rahmen zu pressen. Das ist eine seiner Stärken: Er findet heraus, was funktioniert und richtet sich danach.
Der "Bottom-up"-Stil von Petraeus bedeutet einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit, eine deutliche Abkehr von Donald Rumsfelds "Top-down"-Stil. Petraeus und sein Team scheinen verstanden zu haben, dass es in diesem Krieg um Menschen geht und darum, ihnen zu helfen, den Kreislauf von Nötigung und Einschüchterung zu durchbrechen.
Wir sollten uns die Wahrheit über den Irak eingestehen: Lokale Lösungen sind besser als keine Lösungen; die Macht der Stammesführer ist besser als die Gewaltherrschaft der Terroristen; bescheidene "Pop-ups" können sich als besser erweisen als vorgefertigte Modelle. Aber auch das muss gesehen werden: Die spezielle Sicherheitsstruktur, die Petraeus nach dem "Bottom-up"-Prinzip erarbeitet hat, bedeutet nicht unbedingt Stabilität für den Irak.
Kennen Sie das Ende? Eines wissen wir sicher: Die US-Truppen werden heimkehren. Bleibt nur die Frage, in welchem Zustand sie den Irak zurücklassen: Vermutlich als erbärmlich zerfetztes Flickwerk, denn zum Zusammenflicken bleibt nur noch wenig Zeit.
Übersetzung: Hilde Weiss