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Keramiktafeln für die Ewigkeit

Von Eckart Granitza

Wissen
Erstaunlich viel Information auf relativ kleinen Tafeln.
© MOM

Verwendung eines Speichermediums aus dem haltbarsten bekannten Material.


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Berlin/Hallstatt. Trotz einer nie gekannten Flut von Daten könnte unser Jahrhundert als das finstere Jahrhundert in die Geschichte eingehen. Datenträger wie DVD, CD und Festplatte besitzen nur eine begrenzte Lebensdauer, immer wieder muss umkopiert werden. Auf Festplatten halten sich die Daten circa 10 bis 30 Jahre, auf DVDs maximal 100. Auch Mikrofilme sind nur 400 bis 500 Jahre haltbar. Sollten große Katastrophen die Erde heimsuchen, wird vieles von dem, was wir je erschaffen und erforscht haben, verloren sein.

In Hallstatt in Oberösterreich werden Informationen von Museen, Universitäten, wissenschaftlichen Einrichtungen und Privatpersonen daher auf dem haltbarsten Material eingebrannt, das die Archäologen kennen: der Keramiktafel. Der Erfinder des Archivs, Martin Kunze, nutzt dazu ein Verfahren, bei dem die zu archivierenden Texte und Fotos mit einer Art Laserdruck mittels vierfarbiger keramischer Pigmente auf ein mit Gelatine beschichtetes Papier gedruckt werden. Dieses wird dann mit der Hand auf die Steinzeugplatte gepresst und bei 850 Grad Celsius in die Keramiktafeln eingebrannt. Dadurch können Dokumente nicht nur in Bild und Text für die Nachwelt erhalten bleiben, sondern sogar in Farben.

Steinzeug ist eine spezielle Art der Keramik. Durch den Vorgang des Brennens sind die Keramikplatten wasserdicht, bis 1200 Grad hitzebeständig, säurefest sowie magnet- und strahlenbeständig.

Auch die Speicherdichte der Keramiktafeln ist keineswegs so gering, wie man denken könnte. 35.000 Textzeichen passen auf eine 20 mal 20 Zentimeter große Keramikplatte. Das entspricht je nach Schriftgröße 10 bis 20 A4-Seiten. Die Auflösung der Bilder beträgt 300 dpi, etwa das Niveau von Abbildungen in Zeitungen.

Eingeschlossen werden die Steinzeugplatten im ältesten Salzbergwerk der Welt in Hallstatt in eigens dafür geschaffenen Kammern. Die Region Hallstatt-Dachstein steht seit Dezember 1997 auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes. Da das Gebirge aufgrund seines hohen Salzgehaltes plastisch ist, wird der Zugang in die Kammern von etwa 80 Zentimetern Breite nach rund 40 Jahren auf natürliche Weise verschlossen sein. Außerdem liegt der Ort des Archivs hoch genug, um bei einem Anstieg des Meeresspiegels nicht geflutet zu werden. Nicht nur die Steinzeugplatten, sondern auch die Beschaffenheit des Archivs sorgen so für eine schier unendliche Haltbarkeit der eingelagerten Kulturzeugnisse.

Datenträger, wie es sie schon vor 5000 Jahren gab

Besonders geeignet ist das sogenannten MOM (Memory of Mankind) Archiv natürlich für Museen und Archäologen. Das Naturhistorische Museum (NHM) in Wien ist Kooperationspartner des MOM und hat bereits 200 seiner wichtigsten Ausstellungsstücke auf den Keramiktafeln verewigen lassen. Anton Kern, Abteilungsdirektor für prähistorische Forschung des NHM, kennt das Material aus vielen Exponaten seiner Sammlung. Ohne Zweifel zählen Stein und gebrannter Ton zu den dauerhaftesten Nachrichtenträgern und Archivmaterialien, die es gibt. "Aus dem Gebiet des fruchtbaren Halbmondes, also dem vorderasiatischen Entstehungsgebiet der Landwirtschaft, kennen wir schon seit dem 5. Jahrtausend vor Christus Tontafeln mit wirtschaftlichen Daten bis hin zu politischen Inhalten", weiß Kern. "Ursprünglich wurden die dort üblichen Keilschrift-Zeichen in Tontafeln eingeritzt, die später aushärteten. Durch Brennen, das manchmal auch unabsichtlich erfolgte, wurden diese noch dauerhafter konserviert", sagt der Archäologe. Kern sieht für viele geschichtliche, archäologische und naturkundliche Museen enormen Bedarf für so eine Speicherung, zumal ja auch Papier, auf dem viele Dokumente derzeit noch gespeichert sind, nicht ewig haltbar ist.

Aber Kunze hat auch schon viele Anfragen von naturwissenschaftlichen Instituten, von medizinischen Firmen und sogar von der Industrie. Auch Privatpersonen haben die Möglichkeit, ihre Geschichte verewigen zu lassen. Die betreffenden Personen können ihre Fotos, Texte und Erinnerungsstücke online auf der Webseite des MOM hochladen und die entsprechende Anzahl an Steinzeugtafeln dann in Auftrag geben.

"Mit dem Geld, das wir mit den Privatkunden verdienen, finanzieren wir die Administration von MOM sowie größere Projekte, wie beispielsweise die Abbildung von ganzen Büchern auf hunderten von Steintafeln. Derzeit archivieren wir etwa das Buch ,Die Geschichte Österreichs‘, das den Bogen von der Römerzeit über das Riesenreich der Habsburger und der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie bis hin zur kleinen Alpenrepublik des 20. Jahrhunderts spannt", meint Kunze.

Warnung vor Lagerstätten von Atommüll

Und demnächst soll in dem Hallstätter Archiv noch eine ganz andere hochbrisante Information landen: Der schwedische Archäologe Cornelius Holtorf von der Linnaeus University in Kalmar will hier Tontafeln hinterlegen, die Lage, Inhalt und Zugang aller Atommülllagerstätten auf der ganzen Welt anzeigen, um kommende Generationen eindringlich davor zu warnen, diese auszugraben und mit ihnen in Berührung zu kommen. Holtorf beschäftigt sich mit dem Wissensgebiet der Atomsemiotik, die mit allgemein verständlichen Zeichen Warnungen vor Gefahren des Atommülls an die Nachwelt weitergeben will.

Damit das Archiv auch in der Zukunft gefunden werden kann, bekommt jeder, der mitmacht, eine Plakette, auf der die geografische Lage des Archivs eingestanzt ist. Ebenso werden die Plaketten um alle Atomlagerstätten eingegraben und verteilt, die sich auf der Welt befinden. Die Plaketten sind aus dem gleichen unverwüstlichen Material wie die Tafeln, nämlich hochgebranntem Steinzeug. Selbst wenn Eisen schon spurlos verrostet und sämtlicher Kunststoff verrottet sein wird - die Plaketten werden bleiben.