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Kern für neue Wege mit Türkei

Von Werner Reisinger

Politik

Die diplomatischen Verstimmungen mit Ankara gehen weiter. Kanzler für "alternative Kooperation" statt Beitrittsverhandlungen.


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Wien. Es sieht nicht danach aus, dass der Haussegen zwischen Wien und Ankara bald wieder in Ordnung kommen könnte. Im Gegenteil, die Verstimmungen zwischen Österreich und der Türkei wollen nicht enden. Zu einer Abrüstung der Worte, wie sie in den vergangenen Tagen die Politik gefordert hatte, scheint vor allem die türkische Seite nicht bereit zu sein. Seit dem Wochenende ist der diplomatische Streit um eine weitere Facette reicher.

"Türkei erlaubt Sex mit Kindern unter 15", war am Samstag auf einer digitalen Liveticker-Anzeige der "Kronen Zeitung" am Flughafen Wien-Schwechat zu lesen. Der Hintergrund: Der türkische Verfassungsgerichtshof hat eine Bestimmung aufgehoben, die sexuelle Handlungen an Kindern unter 15 Jahren als sexuellen Missbrauch unter Strafe stellte. Ein Bezirksgericht hatte die Höchstrichter mit der Begründung angerufen, die geltenden Gesetze machten keinen Unterschied zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen.

Geschäftsträger einberufen

Für das türkische Außenministerium Grund genug, den österreichischen Geschäftsträger in Ankara zu sich zu zitieren, und ihm "deutlich die Bestürzung" über die Anzeige mitzuteilen, die das Bild der Türkei in Österreich "verzerre" und die "Öffentlichkeit gezielt missinformiere".

Am Montag zitierte Ankara auch den schwedischen Botschafter ins Außenamt: Schwedens Außenministerin Margot Wallström hatte auf ihrem offiziellen Twitter-Account die Entscheidung des türkischen Höchstgerichts bezüglich der Änderung des Sexualstrafrechts kritisiert und die Türkei aufgefordert, die Änderung zurückzunehmen. "Kinder brauchen nicht weniger, sondern mehr Schutz vor Gewalt und sexuellem Missbrauch", schrieb Wallström.

Zentral für die österreichisch-türkische Verstimmung ist jedoch der Vorstoß von Bundeskanzler Christian Kern, die Beitrittsgespräche mit der Türkei abzubrechen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu bezeichnete Österreich daraufhin als "Hauptstadt des radikalen Rassismus". Kerns Kritik an den türkischen Organisationen in Österreich quittierte Cavusoglu am Montag in der deutschen "Bild" mit der Aufforderung an Kern, sich um die "eigenen radikalen Bürger" zu kümmern: "Es waren ja keine türkischstämmigen Österreicher, die damals Haider gewählt haben oder aktuell einem rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten 49,9 Prozent ihrer Stimmen gegeben haben."

Vergleich mit Frankreich

Im Bundeskanzleramt in Wien will man indes Ruhe bewahren und zu einer sachlichen Gesprächsbasis zurückfinden. "Wir sind weder der Flughafen Wien-Schwechat, noch die Kronenzeitung", sagt Jürgen Schwarz, Sprecher von Christian Kern, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Schwarz weist darauf hin, dass auch die Kronenzeitung dem österreichischen Mediengesetz unterliege. Die in Österreich geltende Pressefreiheit sei ein hohes Gut, mit ihr hebe man sich sehr wohl von der Türkei ab. Äußerungen in sozialen Medien (kürzlich hatte ein Berater des türkischen Premiers Erdogan Kern via twitter auf Türkisch als "Ungläubiger" beschimpft), wolle man nicht kommentieren.

Prinzipiell habe man für die "Ausnahmesituation" in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli durchaus Verständnis, so Kanzlersprecher Schwarz. In ihrer Krisensituation muss sich die Türkei jedoch einen Vergleich mit dem vom islamistischen Terror heimgesuchten Frankreich gefallen lassen: "Aus irgendeinem Grund werden in Frankreich trotz des Terrors keine Journalisten und Oppositionspolitiker verhaftet, sondern man versucht gemeinsam, weitere Anschläge zu verhindern." Was hingegen in der Türkei passiere, würde in Summe "nicht gerade ein erquickliches Bild" abgeben.

Österreich nicht alleine?

Bezüglich des Streits um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gelte es, sich an den Fakten zu orientieren, sagt Schwarz. Würde man sich die Geschichte der Beitrittsverhandlungen ansehen, so hätten diese meist mit einem positiven Ergebnis geendet - "außer ein Staat, siehe Norwegen, hat den Beitritt von sich aus abgelehnt".

Statt die Beitrittsverhandlungen weiterzuführen, will der Kanzler mit der Türkei bald über andere Formen der Zusammenarbeit reden. Man müsse einen "Weg der Kooperation in der Wirtschafts-, Sicherheits- und Migrationspolitik festlegen", der von "Realitätssinn" getragen sei, so Kern. Gerade in der Wirtschaftspolitik, ergänzt Schwarz, würde sich eine solche Vereinbarung nicht stark vom entsprechenden Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen unterscheiden: "Die Türkei wird ein wichtiger Partner bleiben".

Die Kritik von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an Kern, wonach man mit der Türkei verhandeln müsse, diese aber ohnehin nicht beitreten werde, wies der Kanzler am Montag zurück. An der Fiktion eines möglichen Türkei-Beitritts festzuhalten, würde zu einem Glaubwürdigkeitsverlust führen, so Kern.

Mit dem Wunsch, über alternative Türkei-Abkommen zu diskutieren, stehe man EU-weit auch nicht alleine da, ist aus dem Kanzleramt zu hören. Von einem fertigen Konzept sei man zwar noch weit entfernt, man habe aber durchaus auch Zustimmung zu Kerns Vorstoß erhalten.