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Kern reicht die Hand – die ÖVP will sie ergreifen

Von Simon Rosner

Politik

Christian Kern distanzierte sich bei seinem ersten Auftritt als Kanzler von seinem Vorgänger.


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Wien. Österreich hat einen neuen Kanzler, den 13. in der Zweiten Republik. Bundespräsident Heinz Fischer hat Christian Kern am Dienstagnachmittag angelobt, die neuen Ministerinnen und Minister sprachen unmittelbar danach bei Fischer vor. Sie werden am Mittwoch offiziell vereidigt. Dass Christian Kern bereits dem Parteivorstand seine Ministerliste präsentierte, war am Dienstag eine kleine Überraschung, denn zuletzt hieß es, Kern werde erst am Donnerstag alle Regierungsmitglieder beisammen haben.

In gewisser Weise passt dies zu Kern, dem Manager, dem Macher, der sich doch sehr großen Herausforderungen sowohl in der Regierungskoalition mit der ÖVP als auch innerhalb der SPÖ zu stellen hat. Nicht zuletzt deshalb haben sich die Sozialdemokraten für einen Manager von außen entschieden, der noch nie auf einem gewählten politischen Mandat saß und nun gleich ins Kanzleramt wechselt - bisher einzigartig in der Geschichte dieses Landes. Der SPÖ-Vorstand designierte Kern mit einer Gegenstimme (Oberösterreichs SJ) als Vorsitzenden. Formal gewählt wird Kern am 25. Juni am Parteitag.

Und es passte auch zu Kern, dass er gleich bei seinem ersten Auftritt um Klartext bemüht war. Vielleicht ebenfalls ein wenig überraschend, da seine ersten öffentlichen Worte noch vor der Angelobung in der Hofburg erfolgten. Andererseits konnte er sich nicht leisten, nur Plattitüden von sich zu geben und bei Fragen zur Regierung schwurbelnd auf die spätere Angelobung zu verweisen. "Ich bin mit der politischen Sprache und den politischen Ritualen nicht bis ins Letzte vertraut", sagte Kern, um daraus auch eines seiner Motive zu zimmern, das Kanzler-Angebot angenommen zu haben: "Genau diese Sprache, genau diese Rituale, dieses Erscheinungsbild, diese Inhaltsleere, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, waren ein Antrieb."

Tosender Applaus

Das waren schon harte Worte in Richtung der ehemaligen Parteispitze. Kein Wort des Danks, nicht einmal eine Erwähnung Werner Faymanns, der erst vor einer Woche als Kanzler zurücktrat. Das ist ungewöhnlich, war aber wohl auch bewusst gewählt, um nicht das Gefühl der Kontinuität aufkommen zu lassen. In guten Zeiten zweifellos ein hoher Wert, nicht aber, wenn ein kompletter Neustart vonnöten ist. Und dass das notwendig ist, innerhalb der Regierung wie auch in der SPÖ selbst, machte Kern recht klar.

Auch unter den Seinen war Kern in seiner Sprache und seinen Ankündigungen sehr klar. Er wurde vom Vorstand mit großem Applaus bedacht, Funktionäre zeigten sich nach der Sitzung durchaus begeistert. "Er hat die wichtigen Themen angesprochen, ohne jedes Tabu. Es war beeindruckend, die Stimmung in der Partei hat sich verbessert", sagte Burgenlands Landeschef Hans Niessl.

Hannes Swoboda, lange Jahre EU-Mandatar, sah "ganz tolle Signale", und zwar explizit auch durch das neue Regierungsteam der SPÖ. Gleich drei der fünf Neuen sind politische Quereinsteiger. Natürlich Kern als Kanzler selbst, dazu Thomas Drozda, Kulturmanager aus Wien, zuletzt bei den Vereinigten Bühnen Wiens, der Josef Ostermayer als Kanzleramtsminister beerben wird, sowie Sonja Hammerschmid als neue Bildungsministerin (statt Gabriele Heinisch-Hosek). Die neuen Minister werden am heutigen Mittwochmittag von Noch-Bundespräsident Heinz Fischer angelobt..

Zwei heikle Fragen

Die zwei anderen neuen Regierungsmitglieder, Jörg Leichtfried und Muna Duzdar, haben bereits politische Erfahrung. Leichtfried als langjähriger MEP und Vize-Präsident der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament sogar sehr viel, während Duzdar auch ein Signal an die Jungen und die Linken innerhalb der SPÖ ist. Kern strich auch ihren migrantischen Hintergrund hervor. Duzdar, eine Rechtsanwältin, ist in Wien geboren, ihre Eltern sind palästinensische Einwanderer.

Sabine Oberhauser bleibt als Gesundheitsministerin im Team von Kern, sie erhält die Frauenagenden aus dem Ressort von Heinisch-Hosek. Alois Stöger wird Sozialminister bleiben, mit ihm hat Kern als ÖBB-Chef gut zusammengearbeitet. Und auch Hans Peter Doskozil bleibt Verteidigungsminister, was eine Bedingung Niessls war. Doskozil sei, so Kern, ein "Repräsentant einer gewissen Haltung" innerhalb der Partei, und er wolle alle Strömungen in der SPÖ auch im Regierungsteam abbilden. Tatsächlich sei der Unterschied aber oft nur eine Stilfrage, so Kern. Politisch gebe es große Überschneidungen. Soviel zum Thema Spaltung.

Die Gräben sind im Wesentlichen entlang zweier Fragen aufgegangen: Asylpolitik sowie mögliche Kooperation mit der FPÖ. In der Flüchtlinsfrage hielt sich Kern im Wesentlichen an die Formulierung der Wiener SPÖ. Humanität auf der einen, Kontrolle und Ordnung auf der anderen Seite. Er bekannte sich zu den jüngsten Beschlüssen dazu im Nationalrat. "Das heißt aber auch, dass wir mit größtem Augenmaß überlegen müssen, welche Maßnahmen wir brauchen und dass wir die Rhetorik anzupassen haben." Eine sofortige Umsetzung der Notfallsverordnung, die angeblich die ÖVP betreiben will, könnte damit vorerst einmal vom Tisch sein.

Der Fokus müsse laut Kern nun ohnehin auf Integrationspolitik gelegt werden. "Die Menschen sind ja da. Wir können Symbolpolitik machen, werden damit aber kein Problem lösen. Wir haben Verantwortung wahrzunehmen."

Die zweite heikle Frage für die SPÖ betrifft den Umgang mit der FPÖ. Hier könnte schon am Parteitag am 25. Juni der bestehende Beschluss, keine Koalition mit der FPÖ zu führen, in eine neue Sprachregelung gegossen werden. "Wir brauchen da neue Antworten", sagte Kern. Fakt ist, dass es mittlerweile Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen auf Gemeinde- und Landesebene gibt.

"Stellen Führungsanspruch"

Der Vorschlag von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, grundsätzliche Kriterien für Koalitionen mit anderen Parteien zu formulieren, gefällt auch Kern. "Wir stellen den Führungsanspruch und wollen stärkste Kraft bleiben. Wenn uns das gelingt, werden wir zu definieren haben, welche Bedingungen wir anderen Parteien stellen. Eine wird aber sein: Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Menschen und Minderheiten hetzen." Das wäre zwar kein kategorisches Nein, wohl aber ein faktisches. "Aus meiner Sicht stehen am Ende Grundsätze vor dem nackten Machterhalt." Also lieber Opposition statt zweite Geige unter Kanzler Heinz-Christian Strache?

Neustart statt Neuwahl

Diese bedingt reizvolle Eventualität ist auch für die ÖVP derzeit das realistische Szenario im Fall einer Neuwahl, was daher gegen einen vorgezogenen Urnengang spricht. Schon am Wochenende und dann noch einmal am Dienstag sprach Kern mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, um den Neustart auch atmosphärisch einzuläuten. "Wenn wir so weitermachen, dieses Schauspiel der Machtbesessenheit und Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall", betonte Kern. "Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden großen Parteien von der Bildfläche verschwinden - und wahrscheinlich völlig zu Recht."

Um dies zu verhindern, nannte Kern drei Punkte. Erstens die Stilfrage, die der neue Kanzler auch explizit an die eigenen Genossen richtete. "Es macht keinen Sinn, dem anderen keinen Millimeter Erfolg zu gönnen und bei jeder Idee, die der andere entwickelt, von vornherein Njet zu sagen." Man werde der ÖVP und anderen Parteien die Hand reichen.

Der zweite Punkt betrifft die politische Erzählung. "Unser Plan ist es, die Hoffnung zu nähren und nicht die Sorgen und Ängste. Das Ziel muss sein, den Glauben an die Zukunft wiederherzustellen und die Menschen davon zu überzeugen, dass es ihren Kindern eines Tages besser gehen wird." Kern will gleich mit einem kurzfristigen Projekt erste Wirtschafts-Impulse setzen. Viele Handlungsoptionen hat aber auch die neue Regierung rein budgetär nicht. Die schlechte Stimmung im Land, vor allem in der Wirtschaft, gelte es zu drehen. Nur so können auch Investitionen ausgelöst werden. "Dafür wird es aber nicht reichen, nur die Auslagen zu behübschen, wir brauchen reale Politikvorschläge: Beschäftigung, Einkommen, Entwicklung von Bildungsstandards", so Kern.

Plan für 2025

Vielleicht gehört es auch schon zum neuen Stil, dass Kern der ÖVP nicht irgendwelche Forderungen ausrichtete, sondern fast schon in übertriebener Höflichkeit ankündigte: "Wir werden uns erlauben, dem Vizekanzler vorzuschlagen, einen Plan zu entwickeln, dass Österreich 2025 wieder auf die Überholspur kommt."

Der dritte Punkt, mit dem Kern Platz eins verteidigen (oder eher: zurückholen) will, betrifft die SPÖ selbst. "Es gibt die Notwendigkeit, sie auf die Höhe der Zeit zu bringen", sagte er. "Wir müssen uns öffnen und frischen Wind hereinlassen." Die Sozialdemokratie sei immer dann erfolgreich gewesen, wenn sie verstanden habe, sich als Kraft der Modernisierung und Demokratisierung zu positionieren. Der Kanzler erwähnte sowohl (Labour-Chef) James Corbyn wie auch US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders, die er zwar nicht kopieren wolle. "Aber man sieht bei ihnen, was man erreichen kann, wenn man Plattformen bietet und Menschen einlädt, ein Stück des Weges mitzugehen." Und da war also auch Bruno Kreisky wieder an Bord.