Als Reaktion auf das Nein der Iren zum Reformvertrag kommen bisweilen Vorschläge, die das Rechtsverständnis der Akteure bezweifeln lassen: Es gibt einen rechtsgültigen Vertrag für die EU, nämlich den Vertrag von Nizza. Dessen Änderung ist nur mit Zustimmung aller EU-Staaten möglich, nach dem Nein der Iren also derzeit unmöglich. Nicht die Iren haben den bestehenden Vertrag verletzt, sondern es kündigen jene, die jetzt den Iren drohen, ihre Absicht zum Bruch des gültigen Vertrages an.
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Sehr erfreulich wäre hingegen die Bildung eines Kerneuropa nach der Vorstellung maßgeblicher Kreise in Frankreich und Deutschland. Das Hauptproblem der EU ist nämlich die ganz verschiedene Auffassung darüber, wie man in der realen Welt wirtschaftlich bestehen kann. Der Unsinn der Etatisten geht ja mittlerweile so weit, dass sie ernsthaft glauben, das Wirtschaftswunder Irlands sei auf die paar Zahlungen der EU zurückzuführen - ein Beweis dafür, wie sehr das Verteilungsdenken den Blick auf die Tatsachen trübt. Tatsächlich ist das Wirtschaftswunder auf eine unternehmerfreundliche Steuerpolitik zurückzuführen, die viele Firmen ins Land lockte und damit Arbeitsplätze, Steueraufkommen und breiten Wohlstand entstehen ließ.
Etatisten hören das nicht gerne. Und in der jetzigen EU gibt es wenige Möglichkeiten, die Performance der einzelnen Staaten und ihrer Wirtschaftspolitik jenseits akademischer Wissenschaften zu vergleichen.
Ein Kerneuropa, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, gäbe dazu die Möglichkeit. Die Kernstaaten, allen voran Deutschland und Frankreich, könnten ihre Integrationsvorstellungen auf ihrem Territorium verwirklichen und damit, wie sie meinen, vorangehen. Ich meine hingegen, dass sie in Wirklichkeit erkennbar zurückbleiben werden, jedenfalls was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Denn der Großteil des Wirtschaftswachstums geht eben nicht von den Hochsteuerländern mit ihren überbordenden Wohlfahrtstaatkonzepten aus, sondern von den Reformländern und eben Ländern wie Irland.
Und das Ergebnis, dass das etatistische Konzept ein Verarmungsprogramm ist, wird es den Völkern ermöglichen, sich vernünftig zwischen den Konzepten zu entscheiden.
Der derzeit gültige Vertrag sieht jedenfalls keine Möglichkeit vor, Mitgliedsstaaten aus der EU hinauszuwerfen, und auch ein Zurück zu Zöllen und derlei Handelshemmnissen wäre vertragswidrig. Natürlich werden die Hochsteuerländer versuchen, den Reformländern ihr Modell unter dem Titel "Steuerharmonisierung" einzureden; das heißt aber nur, sie möchten gerne diese Staaten in die Armut zurückstoßen. Niemand sollte glauben, dass sich Irland und die Reformstaaten das gefallen lassen.
Also her mit Kerneuropa! Aber es gilt: Nur nicht dabei sein!
Der Autor ist Präsident des Clubs unabhängiger Liberaler.