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Kernkraft mit politischer Strahlung

Von Martyna Czarnowska

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Bei ihren Plänen zur Errichtung neuer Atomkraftwerke stoßen Bulgarien und Litauen auf Probleme mit Russland - wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Gründen.


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Es ist eine ruhige Kleinstadt am Ufer der Donau. An die 10.000 Menschen leben dort, und die meisten von ihnen sind Katholiken - obwohl sie im gesamten Land nur eine kleine Minderheit stellen. Doch nicht deswegen wurde der Ort im Norden Bulgariens bekannt, auch nicht wegen seiner Sehenswürdigkeiten, der üppigen Aulandschaft oder des Naturparks, zu dem die der Stadt vorgelagerte Insel erklärt wurde.

Wer früher "Belene" hörte, dachte meist zuerst an das Arbeitslager, das die Kommunisten auf der gleichnamigen Insel in den 1940er Jahren errichtet haben. Tausende der Gefangenen, von denen viele aus politischen Gründen deportiert worden waren, kamen in den folgenden Jahren dort vor Hunger und Erschöpfung um.

Mittlerweile aber kommt etwas anderes in den Sinn, wenn von Belene die Rede ist. Die bulgarische Regierung will dort ein Atomkraftwerk bauen, nach Kosloduj die zweite Anlage des Landes. Für das Städtchen würde das wohl hunderte Arbeitsplätze bedeuten, vielleicht auch einen generellen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch gibt es da auch die andere Seite, die mit den potenziellen Gefahren verbunden ist, die ein Kernkraftwerk birgt. Und spätestens nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima rückt die immer mehr ins Bewusstsein. Dennoch will laut Umfragen noch immer fast die Hälfte der Bulgaren, dass das AKW in Belene gebaut wird. Keine Meinung dazu zu haben, deklarierte andererseits mehr als jeder dritte Befragte.

Doch ist es weniger die Einstellung der Bevölkerung, die die Baupläne seit Jahren unrealisiert lässt. Es geht vielmehr ums Geld. Sofia und der russische Lieferant Atomstroyexport haben sich nämlich bisher nicht über den Endpreis des Atommeilers einigen können. Die bulgarische Regierung ging von rund vier Milliarden Euro aus; die Russen sprechen nun wegen der zahlreichen Verzögerungen von 6,4 Milliarden Euro. Bulgarien verlangt eine neuerliche Aufschiebung der Gespräche, bis eine britische Bank ein Gutachten über den Preis von Belene erstellt. Die Russen kündigten nun eine Schadenersatzklage an. Die Bulgaren drohen mit einer Klage ihrerseits.

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Andere Probleme mit Russland hat da Litauen. Es will nämlich - wie so viele andere europäische Länder - um jeden Preis die Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland verringern. Zumal es am Beispiel der Ukraine sieht, dass Moskau die Lieferungen - oder deren Stopp - auch zur politischen Erpressung nutzen kann. So gibt es auch in Litauen Pläne zum Bau eines Kernkraftwerks, musste das Land doch das alte AKW Ignalina nach seinem EU-Beitritt schließen.

Gleichzeitig kämpft Vilnius gegen die Errichtung anderer Atommeiler. Das Parlament hat eine Resolution gegen den Bau zweier Reaktoren in der Nähe der litauischen Grenzen verabschiedet. Ein AKW soll bereits ab 2016 in der russischen Exklave Kaliningrad ans Netz gehen, ein anderes wird in Weißrussland gebaut. Die Kraftwerke entsprechen nicht den internationalen Standards und stellen eine Gefahr dar, findet Vilnius. Doch sind das nicht die einzigen Befürchtungen dort.

Die Reaktoren in den Nachbarländern könnten für Litauen als Stromlieferanten eine Konkurrenz auf dem europäischen Energiemarkt werden. Auch deswegen ist Eile geboten. Das japanisch-amerikanische Konsortium Hitachi/General Electric, das vor kurzem den Zuschlag für den Kraftwerksbau erhalten hatte, hat schon erklärt, sofort mit den Arbeiten beginnen zu können. Russland wiederum gefällt das kaum. Aber auch vielen Litauern nicht: Zuletzt waren zwei Drittel gegen den AKW-Bau.