Kein Richtungsstreit, aber ein Ausrichtungsstreit: Kern will die SPÖ neu aufstellen, nimmt sich dafür aber Zeit.
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Wien. Die SPÖ ist auf der Suche - und zwar nach sich selbst. Am Dienstag ging die Präsidiumsklausur der Sozialdemokraten nach zwei Tagen zu Ende. Das Ergebnis lässt aber mehr Fragen offen, als es beantwortet. Vielmehr wiederholte Kern das, was bereits hinlänglich bekannt und in den Hauptstadtgazetten breit diskutiert worden war. Kern will die Oppositionsrolle nutzen, um den staubigen Parteiapparat umzukrempeln. Grundlage für den neuen Kurs ist der Plan A. Auch das ist nicht überraschend. Worauf sich Kern in der Oppositionsrolle aus dem 200 Seiten dicken Konvolut nun konzentrieren möchte, soll erst Richtung Reformparteitag 2018 konkretisiert werden. Aufgeschoben also? Was die SPÖ will, war bereits im Wahlkampf schwer nachzuvollziehen, wie Kern selbst in einem "ZiB2"-Interview Ende Oktober einräumte.
"Wir wollen Innovation mit Gerechtigkeit verbinden", umreißt der Parteichef seine vage Ausrichtung für das Comeback 2022. Und eine "Partei für die 95 Prozent" sein. Bis sich ÖVP und FPÖ einig sind, hätte Kern Zeit, die Baustellen der Vergangenheit anzugehen und zu korrigieren. Nach einer klaren Neuaufstellung klingt das Klausur-Ergebnis noch nicht.
Baustelle eins: die Partei
In seinem ersten Jahr als Kanzler hat sich Kern darauf verlassen, sich als Marke darzustellen, im Wahlkampf hat er sich auf die falschen Einflüsterer verlassen. Nun liegt es an ihm, die strukturkonservative SPÖ, die wie er selbst nur allzu gerne von der Kreisky-Ära schwärmt, in die Gegenwart zu führen. Das heißt: mit alten Dogmen zu brechen und die Partei in die digitale Gesellschaft zu hieven. Mit der Rasanz der gesellschaftlichen Entwicklungen wirkt die SPÖ immer altmodischer.
Dass Kern die strukturellen Probleme der Sozialdemokratie verstanden hat, ließ er bereits bei seiner Antrittsrede im Mai 2016 oder bei der aufwendig inszenierten Präsentation seines Plans A in Wels im Jänner dieses Jahres erkennen - um später seine Kritikpunkte des "Schauspiels", wie Kern es nannte, regelmäßig selbst zu unterlaufen. "Nach jeder Pleite, nach jeder Panne, nach jeder Niederlage zu hören: ‚Wir müssen in den Gremien beraten und die Leute da draußen...‘ Und ich weiß nicht, was für Formeln es alle gibt", sagte Kern vor mehr als einem Jahr. "Mir ist es genauso gegangen wie Ihnen als Staatsbürger." Nach der verlorenen Wahl wurde auch unter Kern alles Wesentliche in den roten Gremien der SPÖ besprochen und nur zu gerne von den Leuten da draußen geredet, für die man jetzt da sein möchte. Weiter unnahbar und wenig nachvollziehbar für die rote Wählerschaft, was auch an den schrumpfenden Mitgliederzahlen zu erkennen ist. In den Sektionen fehlt oft das geeignete Personal, das die Bindung zum (klassischen) Wählermilieu wieder aufbauen könnte. Und gen Westen sind die Landesparteien entweder demoliert oder in Auflösung begriffen.
In einem ersten Schritt stellte sich Kern an die Spitze aller Parteiteile: Klub, Partei und Renner-Institut, die rote Akademie, die er von Alfred Gusenbauer übernahm. Wohl auch, um mehr Einfluss zu bekommen. Zuletzt arbeiteten Kanzleramt, Klub und Partei mehr gegen- als füreinander. Aber Einfluss allein wird nicht reichen. Unter Werner Faymann wurde die einst wichtige Parteizentrale der SPÖ in der Wiener Löwelstraße praktisch bedeutungslos. Entscheidungen wurden im Kanzleramt getroffen. Faymann zog es vor, sich nur in einem ihm vertrauten Kreis zu bewegen und Entscheidungen zu finden. Das hat das Verhältnis zwischen Partei und Kanzleramt nachhaltig verändert. Aber die Organisationsreform soll im Oktober 2018 beim Reformparteitag beschlossen und ein neuer Parteimanager erst eingesetzt werden, wenn Schwarz-Blau fix ist.
Jetzt ist das Kanzleramt dahin, und für Kern bleibt die schwierige Aufgabe, gleichzeitig die Partei wiederaufzubauen und (Oppositions-)Politik zu machen. Welche Politik aber soll es sein?
Baustelle zwei: der Kurs
Dem Parteichef ist bewusst: Es waren neben der guten Mobilisierung in Wien vor allem grüne Stimmen, die der SPÖ bei der Wahl den zweiten Platz gesichert haben. Dieser Wählergruppe, zusammen mit den Anhängern der implodierten Liste Pilz, will Kern dauerhaft ein "politisches Zuhause" in der SPÖ bieten. Und das, ohne auf einen dezidiert linken Kurs einzuschwenken. "Progressiv" soll die Partei zwar sein, jedoch das Mitte- bis Mitte-Links-Spektrum abdecken. Dass das Sinn macht, argumentiert der SPÖ-Chef so: "Die ÖVP hat sich längst zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelt." In der Opposition wolle man "keinen frontalen Kurs" fahren, sagte der Ex-Klubchef Andreas Schieder kurz nach dem Start der ÖVP-FPÖ-Koalitionsverhandlungen.
Keine frontale Opposition, Partei der Mitte? Das klingt just nach jenem Konzept, mit dem die Sozialdemokraten in den Wahlkampf zogen - und verloren. Und das, obwohl Kern nach der Wahl vom "starken Finish" im Wahlkampf sprach, in dem man auf sozialdemokratische Themen wie Pensionen und soziale Sicherheit setzte. Kern sieht den Plan A als Basis für den künftigen Kurs, gibt aber zu, dass dieser in seinem Umfang einfach zu viel sei. Vor dem Parteitag im Oktober soll es eine Konzentration auf einige Themenbereiche geben. Digitalisierung, Globalisierung und Klimawandel lauten die vagen Schlagwörter. Während Schwarz und Blau also offen über rote Tücher der SPÖ nachdenken, wie Ambulanzgebühren und Kammerreformen, sieht es ganz danach aus, dass der Fokus wohl auch in Zukunft eher auf einer umfassenden Sachpolitik à la Plan A liegen wird. Fraglich, ob es da noch Platz für oppositionelle Emotionen geben wird.
Baustelle drei: das Personal
Indes fährt vor allem der scheidende Verteidigungsminister seinen eigenen Kurs. Er warne davor, die "Ersatz-Grünen" zu spielen und sich auf innerstädtische Wähler zu konzentrieren, ließ Hans-Peter Doskozil wissen - eine Konzentration auf die Stadt will jedoch der ebenfalls scheidende Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Kern ruderte am Dienstag zurück. Als "neue Grüne" zu versuchen, "auf vier Prozent zu schrumpfen", sei "keine ernsthafte Diskussion". "Sinnbefreit" nennt Kern diese Debatten. Hart durchzugreifen aber ist seine Sache nicht. So wird zwischen Wien und Burgenland öffentlich über den Kopf des Parteichefs eine Diskussion geführt, die es aus Kerns Sicht gar nicht gibt. Nicht zum ersten Mal.
Man möge ihn nicht in Versuchung bringen, die Wortmeldungen seiner Parteikollegen zu kommentieren, sagte Kern: "Ich habe nicht alles verstanden." Ob Kern in den Nachfolgekampf um den Wiener Bürgermeistersessel eingreifen wird, ist unklar. Neben Michael Ludwig, der - medial - dem "rechten Flügel" zugerechnet wird, soll auch Andreas Schieder eine Kandidatur wagen. Als Kerns Kompromisskandidatin wird Pamela Rendi-Wagner gehandelt. Ein Versuch Kerns, die Wiener Partei unter seine Ägide zu bringen? Bis zum 24. November sollen die Kandidaten fixiert sein.