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Kerns Kriterien

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Der Titel des nunmehrige Kriterienkatalogs, den Christian Kern vorgestellt hat, könnte auch "hopp oder dropp" genannt werden. Sieben inhaltliche Punkte ersetzen also die "Vranitzky-Doktrin", nach der die SPÖ keine Koalition mit der FPÖ eingeht. In der Analyse hat Kern recht, das hat die SPÖ in der Vergangenheit erpressbar gemacht. No, na, nutzte das die ÖVP aus und besetzte alle Schlüsselministerien. Die sieben Punkte in ihrer Gesamtheit scheinen der SPÖ die Sache nicht zu erleichtern, denn irgendeine Partei wird immer gegen den einen oder anderen Punkt sein.

Kern hat sich allerdings ein Schlupfloch gelassen. Der Kriterienkatalog ist ein bisschen wie die Maastricht-Kriterien für die EU: Eine Zielvorstellung, um vom Pfad nicht allzu weit abzuweichen, aber nicht in Stein gemeißelt. Bei seiner Präsentation am Mittwoch unterschied er fein zwischen den sieben Punkten, die über die Legislaturperiode hinaus gelten, und einem Koalitionsvertrag, der nicht allzu weit vom Pfad abweichen dürfe.

Wozu dann also die Übung? Nun, der SPÖ-Vorsitzende ist ja auch Manager. Er will, dass die SPÖ (vor allem in Wien) aufhört, sich gegen jemand zu definieren, sondern mit eigenen Zielen sichtbar zu sein. Die sieben Punkte sind ein bisschen detailverliebt ausgefallen. Sie ergeben zwar ein gesellschaftspolitisches Bild, das hat er aber nicht skizziert. Vielleicht macht er es wie Sebastian Kurz, der mit Ideen-Häppchen die Medien füttert, und erst ab Anfang September mit dem ganz großen Wurf daher kommen will.

Alles ein bisschen viel Taktik, aber vermutlich interessieren sich die Österreicher derzeit nicht wirklich für die Wahl, die tatsächlich erst in 123 Tagen stattfinden wird.

Kern und der SPÖ ging es ausschließlich darum, das leidige Thema "wie haltet ihr es denn mit der FPÖ?" wegzukriegen. Das scheint vorerst gelungen, auch die Wiener und burgenländischen SPÖ-Funktionäre fanden sich gemeinsam beim neuen Kriterienkatalog. Den einen wird er zu forsch, den anderen zu zögerlich gewesen sein.

In den kommenden Tagen werden alle anderen Parteien erklären, welchen Punkt sie niemals akzeptieren würden, und die SPÖ wird eher einsam dastehen. Aber das gehört zum politischen Alltagsgeschäft, das in 123 Tagen ein ganz anderes sein wird.

Die politische Konkurrenz hofft allerdings schon, dass diese Abkehr vom dogmatischen "nie mit der FPÖ" die Sozialdemokraten Stimmen bei der Wahl kosten wird. Das ist möglich.

Doch auch wenn für die SPÖ Sebastian Kurz nie ein Vorbild sein kann, so hat der doch eines erreicht: Er räumt derzeit in den Umfragen die FPÖ ab, ohne sie zu erwähnen.

Die SPÖ hat diesen Turbo noch nicht gefunden. Ob der Kriterienkatalog die Partei einen wird, zeigen die nächsten Wochen. Wenn nicht, ist der Ausgang von "hopp oder dropp" klar: Dann findet sich die SPÖ in der Oppositionsrolle wieder.