Der oberste geistliche Führer sucht laut Iran-Experten Nirumand nach Halt.
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"Wiener Zeitung": Der Iran wählt im Juni einen neuen Präsidenten, das letzte Wort in allen Belangen hat jedoch der Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei. Worum geht es ihm bei diesem Urnengang?
Bahman Nirumand: Es geht Khamenei bei dieser Wahl um den Macht- und Systemerhalt. Denn seine Macht wurde in der letzten Zeit immer wieder infrage gestellt. Die Frage, wie er seine Macht erhalten kann, ist wesentlich komplizierter geworden.
Inwiefern?
Ich glaube, dass es diesmal verschiedene erschwerende Strömungen gibt. Präsident Mahmoud Ahmadinejad und seine Anhänger haben in den vergangenen acht Jahren einen neuen, sehr nationalistischen Kurs eingeschlagen. Hierbei spielt auch der Mahdikult (Verehrung des zwölften Imam Mahdi, Anm.) eine große Rolle. Gleichzeitig gelang es Ahmadinejad, den Einfluss der religiösen Elite sukzessive zu reduzieren. Die Geistlichen sitzen heute nicht mehr an allen Schlüsselpositionen des Staates, wie es früher der Fall war. Hinzuzufügen ist, dass Ahmadinejad und sein Kronprinz Mashaei innerhalb der ländlichen Bevölkerung viele Anhänger haben, da er ihnen mehrmals Geldgeschenke machte. Viele werden sich wahrscheinlich denken, dass es das geringere Übel ist, Mashaei zu wählen, um Khameneis Macht einzuschränken.
Dazu muss dieser zugelassen werden. Auch die Reformer kämpfen noch um einen Kandidaten. . .
Genau. Wenn der allseits bekannte Ex-Präsident Mohammad Khatami kandidiert und zugelassen wird, hat er große Chancen, gewählt zu werden. Hassan Rohani, der als Kandidat der Pragmatiker um Ali Hashemi Rafsanjani antreten möchte, ist kein Reformer im eigentlichen Sinne. Außerdem halte ich Rohani zwar für sehr gebildet und fähig, er ist aber kein Kandidat, der Wahlen gewinnen kann, weil er nicht im ganzen Land bekannt ist.
Glauben Sie, dass die beiden Ex-Präsidenten Mohammad Khatami und Rafsanjani antreten werden? Überhaupt entsteht der Eindruck, dass Khamenei sich nun nach Jahren der Kritik krampfhaft an Rafsanjani annähert. Er hat ihn sogar gebeten, das wichtige Freitagsgebet in Teheran wieder zu leiten. Wie beurteilen Sie das?
Wenn die Wahlen frei für alle Gruppierungen vom Wächterrat zugänglich gemacht werden, kann es durchaus sein, dass Khatami oder Rafsanjani selbst noch einmal antreten. Letzterer ist wieder voll im politischen Geschehen. Das hat aber damit zu tun, dass Khamenei selbst auch nach Halt sucht. Er hatte 2009 alle seine Karten auf Ahmadinejad gesetzt. Diesem ist der Ruhm aber über den Kopf gewachsen, und so entzog ihm Khamenei wieder das Vertrauen.
Bahman Nirumand ist Iran und Nahost-Experte. Seit 2001 ist der 76-Jährige Verfasser des monatlich erscheinenden Iran-Reports der Heinrich-Böll-Stiftung.