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Kickl oder "das Primat der Authentizität"

Von Walter Hämmerle

Politik

Volksanwalt Peter Fichtenbauer (FPÖ) sieht keine Provokation des Innenministers, dafür aber "Propaganda von allen Seiten".


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"Wiener Zeitung": Herr Fichtenbauer, nach Innenminister Herbert Kickl soll das Recht der Politik folgen. Wem soll die Politik aus Ihrer Sicht untertan sein?

Peter Fichtenbauer: Dem Staatsbürger auf jeden Fall.

Immer und überall?

Nein, dies schon deshalb, weil es aufgrund von Wahlen eine Legislaturperiode gibt. Das war die Absicht des Verfassungsgebers: durch die Wahl einer mehrheitsbestimmenden Struktur die Gewählten arbeiten lassen. Aber da Sie auf Kickls Aussagen verweisen, muss ich hinzufügen, dass viele Kommentare ein tiefes Unverständnis der primitivsten Verfassungszusammenhänge erkennen lassen. Die einzig zutreffende Aussage kam dazu von Staatssekretärin Edtstadler, die das Bundes-Verfassungsgesetz zitierte, wonach das Recht der Republik vom Volk ausgeht.

Sie gelten in der FPÖ als Liberaler. Dem Liberalismus geht es stets darum, der Macht der Mehrheit Grenzen zu setzen, sei es zugunsten des Individuums oder von Minderheiten. So gesehen müssten Sie dem plebiszitären Hang der FPÖ mit Skepsis begegnen.

Der wirkliche Liberale hatte seine erste Heimat tatsächlich bei den Freiheitlichen; hier fand im 19. Jahrhundert der Kampf um Grund- und Freiheitsrechte und schließlich um eine Verfassung statt. Liberale Skepsis ist daher immer dann angebracht, wenn ein Rausch der Mehrheit droht. Der Liberale ist also zunächst ein nüchterner, an die Verfassung und das Recht gebundener Staatsbürger.

Für ihre Kritiker betreibt auch die FPÖ Stimmungsmache für einen solchen Rausch der Mehrheit.

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Bedürfnisse und Anliegen der Wähler gewandelt. Besitzstandswahrung und ein paar Prozente vom größer werdenden Kuchen, wie unter Rot-Schwarz üblich, genügt nicht mehr. Heute dominiert die Sorge um Identität und Sicherheit in einem umfassenden Sinn. Darauf musste die Politik reagieren. Der FPÖ ist das am besten gelungen, deshalb auch die Kritik.

Mag sein, dass es neue Themen und Stimmungen gibt, warum aber setzt der Innenminister mit seinem Satz eine gezielte Provokation?

Diese Sicht teile ich nicht, auch weil ich den Sinn einer Provokation nicht sehe. Der Innenminister hat im Rahmen eines längeren Interviews eine verfassungsrechtliche Grundwahrheit ausgesprochen. Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass die Gesetze vom Parlament beschlossen werden. Deren Vollzug erfolgt durch die unabhängige Justiz sowie durch die Verwaltung.

Kickl zielte aber auf die Europäische Menschenrechtskonvention.

Erstens hat der Minister in keiner Weise eine Abschaffung der EMRK gefordert und zweitens wären wir noch im Mittelalter, wenn es verboten wäre, auch nur über Änderungen an bestehenden Gesetzestexten nachzudenken und neuen Herausforderungen gerecht zu werden.

Warum sind Sie so sicher, dass Kickl seine Aussagen nicht kalkuliert setzt? Die FPÖ muss in der Regierung ihren Wählern vermitteln, sie bleibe ihrer Agenda treu. Und weil FPÖ-Chef HC Strache als Vizekanzler und Norbert Hofer als Regierungskoordinator für gute Beziehungen zur ÖVP zuständig sind, ist es an Kickl, das Profil zu pflegen.

Ich sehe weder eine Provokation noch eine solche Strategie. Dass sich andere provoziert fühlen, ist deren Problem. Schaden sehe ich deshalb keinen. Dass mit der Aufregung auch eine Profilschärfung einhergeht, die mitunter ganz nützlich ist, mag sein. Für seriös halte ich die Empörung aber nicht, das ist Propaganda, zwar durchaus von allen Seiten.

Nach 1945 wollte die FPÖ unbedingt endlich Teil dieser Republik werden; jetzt, wo sie sich integrieren könnte, hat man den Eindruck, sie bleibe bewusst auf Distanz.

Die Spaltung der FPÖ in eine Veränderungspartei, die sie nur als Regierungspartei sein kann, und eine genuine Oppositionspartei, das gehört zu ihrer Natur. Dieser Widerspruch gehört zur freiheitlichen DNA und hängt damit zusammen, dass die FPÖ nie Teil der rot-schwarzen Sozialpartnerschaft war. Offen ist jeweils nur, ob die politische Kraft ausreicht, in eine Regierung zu gehen, oder ob die Vorteile der Opposition überwiegen. Persönlich bin ich immer fürs Regieren.

Damit besteht für die FPÖ stets die Gefahr, dass die internen Spannungen sie einmal mehr zerreißen.

Die FPÖ hat ein hohes Lernpotenzial. Für die jetzige Führung gilt das Primat der Authentizität, wonach die Forderungen vor der Regierungsbeteiligung mit jenen übereinstimmen müssen, die in der Regierung vertreten werden.

Wie würden Sie die Rolle Kickls in der FPÖ beschreiben?

Zwischen ihn und Strache sowie Hofer passt nicht einmal das berühmte Löschblatt. Er ist integraler Bestandteil dieser Partei. Und die Unterstellung, er würde als Innenminister nicht rechts- und verfassungstreu agieren, ist eine Unterstellung ohne jede Substanz. Davon bin ich wirklich zutiefst überzeugt.

Am Freitag hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Innenminister trotzdem zur klärenden Aussprache gebeten. Die Regierung ist auf das Vertrauen des Bundespräsidenten angewiesen. Wie bewerten Sie das Verhältnis?

Zunächst möchte ich dem Bundespräsidenten ausdrücklich für seinen Einsatz für eine zeitgemäße Ausstattung des Bundesheeres danken. Das unterscheidet ihn wohltuend von seinen Vorgängern. Ansonsten sehe ich nicht, dass sich der Bundespräsident unzulässigerweise in die Arbeit der Regierung einmischt.