Der FPÖ-Obmann arbeitet auf eine Mehrheit gegen die ÖVP hin. Das könnte an ihm selbst scheitern.
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Das Parlament hat seine vorsommerliche Leistungsbilanz erheblich aufgewertet: Der Beschluss des Gesetzes für den Ausbau der Erneuerbaren Energieträger kann mit Fug und Recht als epochal bezeichnet werden; man sollte nur nicht dem Irrtum erliegen, beim Klimaschutz sei damit alles auf Schiene; eher stimmt das Gegenteil. Ansonsten sind vor allem die Reform des Verfassungsschutzes drängend und die breite Zustimmung beim Anti-Terror-Paket - alle Parteien bis auf die FPÖ - bemerkenswert.
Der Abschluss des Parlamentsjahres taugt aber ebenso für eine politische Beziehungsbilanz. Die angeführten Gesetzesinitiativen zeigen, dass trotz der grassierenden Antipathien zwischen den Fraktionen breite Mehrheiten unverändert zustandekommen; ob aus Einsicht in die gesamtstaatlichen Interessen oder parteitaktischem Kalkül ist nebensächlich. Das ist eine beruhigende Erkenntnis, zumal die Konfrontation zwischen Regierungsmehrheit und Opposition im Parlamentarismus einen konstitutiven Wert an sich darstellt. Und die Organisation von Zweidrittelmehrheiten ist verlässlich eine Bringschuld der Regierungsfraktionen.
Davon abgesehen prägt die beidseits genüsslich inszenierte Polarisierung zwischen ÖVP und FPÖ, den beiden ehemaligen Koalitionspartnern. Sebastian Kurz hat die Volkspartei mit einer Umarmungsstrategie für freiheitliche Wähler zur Nummer eins gemacht; jetzt, unter Türkis-Grün, setzt die ÖVP darauf, mit einer scharfen Abgrenzungsstrategie zur FPÖ unter Herbert Kickl ihren Führungsanspruch abzusichern, der ja auf der Sammlung der Mitte-Rechts-Wählerinnen und -Wähler im Lager der Türkisen fußt.
Interessanterweise strebt nicht nur die ÖVP danach, die Kickl-FPÖ als radikal zu brandmarken; genau das Gleiche versucht auch der FPÖ-Chef mit der Kurz-ÖVP. Das dazu gehörende Schauspiel lieferten am Mittwoch Innenminister Karl Nehammer und Kickl selbst. Der von Kurz im Zuge der Ibiza-Affäre entlassene Ex-Innenminister attestierte der Partei seines Nachfolgers sogar totalitäre Tendenzen (der türkis-grün-rot-pinken Forderung nach einem Ordnungsruf kam der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer vorerst nicht nach) und setzte zu einem Loblied auf die rechtsextremen Identitären an, deren Symbole verboten werden sollen. Kickls übergeordnetes strategisches Ziel ist es, eine Mehrheit gegen die ÖVP im Allgemeinen und gegen Kurz im Besonderen zu schmieden. Das ist nicht unmöglich, selbst wenn man die grundsätzlichen rot-grün-pinken Vorbehalte gegen die FPÖ miteinrechnet. Der Plan könnte allerdings an Kickls Hang zu rhetorischen Grenzüberschreitungen scheitern.