Mordverfahren gegen ukrainischen Ex-Präsidenten eingestellt.
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Kiew. Der Prozess hatte für erstaunlich wenig Aufsehen gesorgt, obwohl es um den wohl spektakulärsten Kriminalfall in der Ukraine nach 1991 ging: Im März dieses Jahres hatte die Justiz in Kiew Ermittlungen gegen Ex-Präsident Leonid Kutschma gestartet, der das Land von 1994 bis 2005 führte. Der Ex-Staatschef wurde verdächtigt, im September 2000 am Mord an dem Journalisten Georgi Gongadse beteiligt gewesen zu sein. Während jedoch das Verfahren gegen Ex-Premierministerin Julia Timoschenko alle Aufmerksamkeit auf sich zog, dümpelte der Prozess gegen Kutschma trotz des Umstands, dass der Fall Gongadse seine gesamte zweite Amtszeit überschattet hatte, über Monate ohne großes Scheinwerferlicht dahin. Am Mittwoch hat nun ein Gericht in Kiew das Verfahren gegen den 73-Jährigen eingestellt: Die Anklage sei auf Grundlage unzulässiger Indizien und damit zu Unrecht eingeleitet worden, urteilte Richterin Halina Suprun.
Die Ermordung des georgisch-ukrainischen Journalisten Gongadse, der in den 1990er Jahren die kritische Internetzeitung "Ukrajinska Prawda" gegründet und geleitet hatte, hatte in der Ukraine hohe Wellen geschlagen. Gongadse hatte sich durch investigative Berichte bei Kutschma und dessen Umgebung unbeliebt gemacht. Im September 2000 verschwand er spurlos, im November fand man seine geköpfte Leiche in einem Wald bei Kiew. Als dann Tonbänder auftauchten, die ein Geheimdienstler gemacht hatte, war "Kutschmagate" perfekt: Eine dem Präsidenten zuordenbare Stimme gab da dem damaligen Innenminister Juri Krawtschenko den Auftrag, mit Gongadse "aufzuräumen" - was immer damit gemeint war. Die Affäre führte zu Massendemonstrationen und bereitete den Boden für die Orange Revolution 2004.
Doch die Echtheit der Bänder - der einzigen Beweise für Kutschmas Schuld, nachdem die direkten Auftraggeber der Mörder unter rätselhaften Umständen ums Leben kamen - war immer wieder bestritten worden. Schließlich handelt es sich um digitale Aufnahmen, die, so meinen manche, manipulierbar seien. Andere halten wiederum das Verfahren gegen Kutschma für einen Scheinprozess, dessen Zweck einzig darin bestanden habe, einen Schlussstrich zu ziehen: Kutschma könne sich fortan auf ein gültiges Urteil berufen, die Tonbänder wären als Beweise vom Tisch. Das Urteil nützt auch Wladimir Litwin, heute Präsident des ukrainischen Parlaments und mit seiner Fraktion Mehrheitsbeschaffer für die regierende "Partei der Regionen": Neben Kutschma und dem mittlerweile ums Leben gekommenen Ex-Innenminister Krawtschenko ist auch Litwins Stimme auf den Bändern zu hören. Er war damals Chef der Präsidialverwaltung.