Etablierte Kräfte stürzen in der Gunst der Wähler ab. | Rechtspopulist aus dem Stand Erster bei Regionalwahl. | Kiew/Wien. Es war ein Bild der Kopflosigkeit, das das ukrainische Parlament der Bevölkerung Anfang Februar bot: Nachdem Premierministerin Julia Timoschenko über die Bewältigung der schweren Wirtschaftskrise des Landes referiert hatte, stürmten Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen das Podium, um den Parlamentsbetrieb zu verhindern. Ein Handgemenge entstand, dem eine hitzige Debatte über Spitzfindigkeiten der Geschäftsordnung und Personalfragen folgte. Daraufhin brachte die oppositionelle Partei der Regionen von Ex-Premier Wiktor Janukowisch einen Misstrauensantrag gegen Timoschenko ein, der die Unterstützung der eigentlich mit Timoschenko verbündeten, präsidentennahen Abgeordneten fand. Alternative Konzepte legte die Gruppe keine vor, der Antrag blieb ohne Mehrheit, Timoschenko im Amt - und über die Krise wurde nicht gesprochen.
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Szenen wie diese lassen das Vertrauen der Ukrainer in die Politik des Landes in ungeahnte Tiefen sinken. Nur noch 1,4 Prozent der Bürger stimmen der Tätigkeit ihres Parlaments zu - im März 2005 waren es noch 47 Prozent. Die Zustimmung zu Präsident Wiktor Juschtschenko beträgt magere 3,9 Prozent, die Regierung liegt mit 4,3 Prozent nur knapp darüber.
Die seit 2004 mit allen Mitteln ausgetragenen Machtkämpfe zwischen Juschtschenko, Timoschenko und Janukowitsch erwecken für viele Ukrainer den Eindruck einer Parallelwelt: Im öffentlichen Dienst werden wie schon nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums Gehälter zu spät, nur teilweise oder gar nicht gezahlt. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes ging zuletzt um mehr als 15 Prozent zurück, der Import brach um zehn, der Export um mehr als 15 Prozent ein. Die Industrieproduktion betrug im Jänner 34 Prozent weniger als im Vorjahr, ganze Industriezweige wie etwa die besonders im Osten des Landes starke Metallurgie und Chemieindustrie wurden faktisch stillgelegt. 2009 werden die Arbeitslosenzahlen voraussichtlich von einer auf vier Millionen klettern.
Vor diesem Hintergrund zerfallen in Kiew die etablierten politischen Kräfte: Die Juschtschenko-Partei "Unsere Ukraine" etwa kann einem Zeitungsbericht zufolge ihre Zentrale kaum mehr unterhalten und befindet sich in voller Auflösung. In Janukowitschs Partei der Regionen werden Flügelkämpfe offen ausgetragen, und auch im Timoschenko-Block, der schon bei den zweiten Regionalwahlen in Folge in der Wählergunst abgestürzt ist, melden sich Abweichler zu Wort.
Antisemiten vorne
Der Dauerstreit der etablierten Parteien eröffnet neuen Kräften wie dem noch jungen ehemaligen Parlamentspräsidenten Arseni Jasenjuk Chancen. Die Ernte einfahren könnten freilich auch andere: Bei den jüngsten Regionalwahlen im Gebiet Ternopil in der Westukraine profitierte die - vorsichtig ausgedrückt - rechtspopulistische Partei "Swoboda" (Freiheit) vom Absturz des Timoschenko-Blocks von 53 auf acht Prozent. Mit 35 Prozent der Stimmen wurden die Nationalisten, die auch gute Kontakte zur FPÖ und zum Front National Jean-Marie Le Pens pflegen, dort aus dem Stand stärkste Partei. Der Partei, deren noch junger Chef Oleh Tjahnibok für seine Aufrufe zum bewaffneten Kampf "gegen die Moskowiter" bekannt ist, werden auch antisemitische Tendenzen nachgesagt.