Auch drei Jahre nach Kriegsausbruch ist in der Ostukraine kein Frieden in Sicht.
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Luhansk/Wien. Ein OSZE-Mitarbeiter, getötet von einer Landmine. Für diese eine Meldung war das Grauen des Krieges wieder in den Schlagzeilen. Das Auto explodierte auf einer verlassenen Nebenstraße, nahe der Front, und riss den 36-Jährigen aus dem Leben. Der US-Amerikaner hatte die Sondermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ostukraine als Sanitäter begleitet.
Die Tragödie zeigt, wie unberechenbar und gefährlich die Lage in der Ostukraine auch im vierten Kriegsjahr noch immer ist - selbst für die OSZE-Mitarbeiter, die für ihre Umsicht und strengen Sicherheitsvorkehrungen bekannt sind. Es ist das erste Todesopfer, das im Rahmen der OSZE-Sondermission, die die Waffenruhe in der Ostukraine überwachen soll, zu beklagen ist. Ein weiteres blutiges Kapitel in einem Krieg, der zwar weitestgehend aus den internationalen Medien verschwunden ist, laut UN-Angaben aber bis dato an die 10.000 Todesopfer gefordert hat.
Minsker Plan nicht umgesetzt
Ein Ende ist auch drei Jahre nach dem Kriegsausbruch nicht in Sicht. Jeden Tag wird die Waffenruhe hunderte Male gebrochen, an manchen Tagen sogar tausende Male. Es gibt praktisch keinen Punkt des Minsker Friedensplans, der umgesetzt ist. Der Friedensprozess gilt als völlig verfahren: Kiew fordert eine Feuerpause, die Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze und Wahlen in den besetzten Gebieten, Moskau wiederum pocht auf den Sonderstatus des Donbass.
Während der Krieg weitergeht, verhärten sich die Fronten immer weiter. Erst vor wenigen Wochen hat Kiew beschlossen, den Handel mit den Separatistengebieten einzustellen - offiziell als Vergeltung dafür, dass zuvor die Separatisten ukrainische Unternehmen in den Separatistengebieten enteignet hatten. Diese hatten wiederum auf eine Schienenblockade von ukrainischen Freiwilligenbataillonen reagiert. Am Wochenende kündigte indes auch der Leiter des Stromversorgers LEO in Luhansk an, die Stromlieferungen in das abtrünnige Separatistengebiet zu kappen. Regierungsvertreter haben auch einen Lieferstopp in die besetzten Gebiete um Donezk in Aussicht gestellt.
Dabei waren der Eskalation zuletzt eigentlich Worte der Entspannung vorausgegangen. Im Jänner hatte Wadim Tschernysch, der Minister für die vorübergehend besetzten Gebiete, einen Plan zur "Reintegration des Donbass" vorgestellt, um die Herzen und Köpfe der Bewohner in den Separatistengebieten zu gewinnen. "Sie sind auch Ukrainer - und wir sind für sie verantwortlich", betonte Tschernysch damals. Es spricht Bände, dass es fast drei Jahre gedauert hat, bis sich Kiew zu einem offiziellen Dokument durchringen konnte, wie die Menschen jenseits der Frontlinien zu betrachten sind.
Doch von einer Versöhnung ist seit der Handels- und der angekündigten Stromblockade kaum die Rede mehr. "Die Gebiete haben sich in den vergangenen Monaten wieder weiter von der Ukraine entfernt", sagt der Politologe Wladimir Fesenko. Da der Handel mit den ukrainisch-kontrollierten Gebieten vorerst ausgesetzt ist, wird zwangsläufig der Warenaustausch mit Russland steigen - und sich die Gebiete weiter an Russland annähern.
Die jüngste Eskalation hat bei manchen Beobachtern Zweifel genährt, wie es um den Willen Kiews, die Gebiete wirklich wieder einzugliedern, eigentlich bestellt ist. Hinter vorgehaltener Hand glaube niemand mehr daran, dass die Gebiete eingegliedert werden können. "Der politischen Führung in Kiew ist es nicht unrecht, wenn Donezk und Krim keinen Einfluss darauf haben, was in Kiew passiert", glaubt der ukrainische Politologe Michail Minakow. Auch in der ukrainischen Bevölkerung macht sich zu Beginn des vierten Kriegsjahres Resignation und Ermüdung breit. Immerhin 17 Prozent der Ukrainer sind laut einer aktuellen Umfrage dafür, alle Beziehungen zu den Separatistengebieten zu kappen.
Russland allgegenwärtig
Anders als die ukrainische Halbinsel Krim wurden die Gebiete im Donbass selbst nach einem umstrittenen Referendum im Mai 2014 nicht von Russland annektiert. Die damals proklamierten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk hat Moskau auch offiziell nie anerkannt. Es gilt jedoch als ausgemachte Sache, dass Moskau die pro-russischen Separatisten sowohl finanziell als auch militärisch, wie auch von der OSZE bestätigt, maßgeblich unterstützt. Zuletzt hat Moskau zudem die Pässe, die von den Separatisten ausgegeben werden, als offizielle Reisedokumente anerkannt. In den Gebieten wird mittlerweile fast nur noch mit russischem Rubel gezahlt.
Laut Schätzungen belaufen sich die Kriegsschäden in der Ostukraine auf mindestens 20 Milliarden US-Dollar. Wer dafür in die Taschen greifen wird, ist völlig unklar. Nicht zuletzt deswegen gehen derzeit viele davon aus, dass der Krieg weitergehen wird wie bisher. "Der Konflikt im Donbass wird sich wohl in die Liste der ungelösten Konflikte im post-sowjetischen Raum einreihen", glaubt Politologe Fesenko.
Als "wilde Steppe" hat der japanische Historiker Hiroaki Kuromiya den Donbass beschrieben, wo Loyalitäten, sowohl zu Kiew als auch zu Moskau immer wieder in Frage gestellt wurden. Es ist ein Industriegebiet, das einst vor allem für seine Kohlegruben und die Stahlproduktion bekannt wurde. Heute ist der Donbass aber ein Ort, wo nur die Gräben zwischen den Konfliktparteien immer tiefer werden.