Tschataev in Ukraine verhaftet. | 30-Jähriger besitzt österreichischen Flüchtlingspass. | Wien. Im Jahr 2000 war der Tschetschene Ahmed Tschataev in seiner Heimat vom russischen Geheimdienst FSB verhaftet und fast zu Tode gefoltert worden. Zehn Jahre später droht dem heute 29-Jährigen erneut ein solches Schicksal. Der Grund: Er wollte in der Ukraine seine Mutter und seine Schwester treffen, die er seit 2000 nicht mehr gesehen hatte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am 4. Jänner wurde Tschataev, der in Österreich seit 2003 Asylstatus genießt, nach seiner Einreise per Visum - laut ukrainischen Behörden auf Grund eines russischen Haftbefehls - festgenommen. Seither sitzt er im Untersuchungsgefängnis in Ushgorod nahe der slowakischen Grenze. Ihm droht nun die Abschiebung nach Moskau. Sie wäre allerdings illegal: Gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Ukraine ratifiziert hat, ist die Abschiebung einer Person in ihr Heimatland untersagt, falls ihr dort Folter droht. Tschataevs Akt liegt mittlerweile bei der Generalstaatsanwaltschaft in Kiew - doch die lässt sich mit der Prüfung des Auslieferungsantrags Zeit.
Es waren schließlich ukrainische NGOs und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die Alarm schlugen - mit Protestnoten und Appellen an die ukrainischen Behörden, internationales Recht einzuhalten. Auch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, UNHCR und die österreichische Botschaft in Kiew, sind inzwischen eingeschaltet. "Wir sind in Kontakt mit den Behörden", erklärte Markus Wuketich, außerordentlicher Botschafter in Kiew, der "Wiener Zeitung". Österreich habe die zuständigen Stellen schriftlich davon in Kenntnis gesetzt, dass Ahmed Tschataev einen österreichischen Konventionspass (Flüchtlingspass) habe - darunter auch das ukrainische Außen- und Innenministerium, so Wuketich. Als Land, das Tschataev Schutz vor politischer Verfolgung gewährte, ist Österreich für dessen konsularischen Schutz zuständig.
Ein ukrainischer NGO-Vertreter, der namentlich nicht genannt werde wollte, glaubt, dass lokale Sicherheitskräfte mit engen Kontakten zum russischen Geheimdienst FSB Tschataev ursprünglich in einer Nacht- und Nebelaktion den Russen übergeben wollten. "Seit die Behörden sensibilisiert sind und höhere politische Ebenen davon Wind bekamen, geht das mit der Abschiebung nicht mehr so einfach", ist er überzeugt.
Straßburg eingeschaltet
Tschataevs ukrainischer Anwalt will sich auf solche Spekulationen nicht einlassen. Er brachte den Fall sofort vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - mit einem ersten Teilerfolg. Der Gerichtshof in Straßburg untersagte der Ukraine Mitte Jänner vorerst die Auslieferung. Diese "vorläufige Maßnahme" gilt so lange, bis die Richter eine endgültige Entscheidung getroffen haben. Dass sie zur Erkenntnis gelangen, dass Tschataev in Russland ein faires Gerichtsverfahren erwartet und ihm dort auch keine politische Verfolgung droht, ist nahezu undenkbar.
Was der russische Staat gegen den Tschetschenen ein Jahrzehnt nach dessen Flucht plötzlich vorzubringen hat, wurde nicht publik gemacht. Auch auf der russischen Interpol-Liste scheint Tschataev nicht auf. Doch angesichts der Tatsache, dass sämtliche ehemaligen Widerstandskämpfer von der politischen Führung als "Banditen" und "Terroristen" betrachtet werden, die, wie Premier Wladimir Putin einst meinte, "bis in die Latrinen verfolgt und dort vernichtet werden" müssten, sind die ihnen zur Last gelegten Straftatbestände irrelevant. Die Geständnisse werden ohnehin fast ausschließlich durch Folter erzwungen.
Elektroschocks
Auch Tschataev sollte gestehen. Er war im Jahr 2000 nahe der tschetschenischen Stadt Urus-Martan bei Gefechten mit russischen Milizen an Kopf und Arm schwer verwundet worden - und geriet in russische Gefangenschaft. Diese verbrachte er gemeinsam mit seinen Kampfgefährten im Kellerverlies eines ehemaligen Internats, den FSB-Beamte zu einem Foltergefängnis umfunktioniert hatten. Dort sägten die Russen ihm als Teil der Misshandlungen seinen verletzten Arm ab und "behandelten" die Wunde anschließend mit Elektroschocks. Mit einer hohen Geldsumme gelang es der Familie, Tschataev freizukaufen.