Während der ukrainische Präsident Poroschenko am Donnerstag in Wien zu Gast ist, geraten in Kiew die Kämpfer gegen Korruption zunehmend unter Druck.
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Kiew. Für Freundlichkeiten hat Artjom Sytnik keine Zeit. Ein kurzes Kopfnicken, ein Grummeln zum Gruß. Achtlos knetet er die Visitenkarten der früheren Gäste zwischen seinen Fingern. Ohne Augenkontakt wird er während des Gesprächs immer wieder ungeduldig mit den Karten, wie die der "New York Times", auf die Tischplatte klopfen, als zähle er die Sekunden herunter.
Sytnik hat dieser Tage in seinem Amt wahrlich wenig zu lachen. Vor knapp drei Jahren ist der 38-jährige Ukrainer als Direktor in das neu geschaffene "Nationale Anti-Korruptions-Büro der Ukraine" (Nabu) eingezogen. Eine Institution, die aufräumen sollte mit der Korruption im Land, eine der Hauptforderungen des Maidan vor vier Jahren. Erst vor wenigen Wochen, im Dezember, wurde er beinahe seines Amtes enthoben. In ukrainischen Medien wird er dieser Tage als Widersacher des Machtblocks um Präsident Petro Poroschenko, der am Donnerstag in Wien zu einem Arbeitsbesuch weilt, diffamiert. Dass ihm zu Jahresbeginn wegen eines "administrativen Vergehens" eine Strafe von 1700 Hrywnja (knapp 50 Euro) aufgebrummt wurde, gehört dabei noch zu den harmloseren Lappalien.
Im Gegenzug für IWF-Kredite und EU-Visumsfreiheit haben die westlichen Partner den neuen Machthabern in Kiew das Versprechen abgerungen, die Korruption im Land zu bekämpfen. Wie mit dem Nabu, bisher die einzige wirkliche Erfolgsgeschichte im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. 650 Mitarbeiter hat das Nabu bisher eingestellt, darunter 200 Detektive, von FBI und EU geschult, um hochrangige Korruption aufzudecken. In den Gängen des dreistöckigen Ziegelbaus in der Nähe des Kiewer Bahnhofs haben sich gerade die Kandidaten für die nächste Auswahlrunde angestellt. Die Kriterien sind streng, der Andrang ist groß.
Das Nabu hat sich einen Ruf als unabhängige Institution erworben, die selbst davor nicht zurückschreckt, gegen die "Unberührbaren" des Systems zu ermitteln. Wie gegen den Sohn des mächtigen Innenministers Arseni Awakow. Doch je hochrangiger die Korruptionsfälle geworden sind, desto schärfere Geschütze wurden gegen das Nabu in Stellung gebracht: Schmutzkampagnen, Schikanen, Gesetze, die die Vollmachten des Büros beschränken. "Der Druck gegen uns ist auch ein Indikator dafür, wie gut wir arbeiten", sagt Sytnik. Doch wenn Sytnik über die letzten Monate spricht, dann lässt er immer wieder Worte fallen wie "offene Phase", "Kampf" oder sogar "Krieg".
Druck von EU und IWF hilft Kämpfern gegen Korruption
Die letzte große Schlacht wurde im Dezember geschlagen. Die beiden stärksten Fraktionen im Parlament, der "Block Petro Poroschenko" und die "Volksfront", setzten einen Gesetzesentwurf auf die Tagesordnung, wonach das Parlament den Leiter der Antikorruptionsbehörde direkt entlassen könnte. Eine Farce, wo doch Sytnik mit seinem Team gerade den Filz zwischen Politik, Oligarchie und Wirtschaft entwirren sollte. Dass Sytnik seinen Posten heute noch immer innehat, ist nur den westlichen Partnern und dem Druck der Zivilgesellschaft zu danken. So sei das Gesetz nach Interventionen des IWF und der EU quasi über Nacht doch wieder von der Tagesordnung des ukrainischen Parlaments verschwunden.
Sytnik ist nicht der einzige Fall, bei dem Anti-Korruptions-Kämpfer unter Druck gesetzt werden. In Posniaky, einem Schlafbezirk am linken Ufer des Dnjepr, haben sich Aktivisten vor einem Gerichtsgebäude versammelt. "Fuck corruption!", "Freiheit für Schabunin!" steht auf den Plakaten. Es ist der Auftakt des Prozesses gegen Witali Schabunin. Der energische, blonde 33-Jährige gilt als einer der bekanntesten Anti-Korruptions-Aktivisten des Landes und ist führendes Mitglied der NGO "Zentrum im Kampf gegen die Korruption". Doch zuletzt ist der Druck auf Schabunin und seine Organisation gestiegen. Die Steuerbehörde ermittelt gegen die NGO, Schabunins Haus wurde von Unbekannten belagert. Ein Mann attackierte den Aktivisten auf offener Straße mit Pfefferspray, da schlug Schabunin zu. Während der Mann unbehelligt blieb, drohen Schabunin wegen Körperverletzung nun bis zu fünf Jahre Haft.
Auch Schabunins Opfer, der Blogger Wsewolod Filiomonenko, ist heute gekommen. In eine große EU-Flagge gewickelt und mit USA-Fahnen in der Hand, wird er von einer Journalistentraube umringt. Im Gerichtssaal wird er die blaue Flagge vor seinem Tisch ausbreiten, sein T-Shirt mit der Aufschrift "Die Schule der Korruption" in die Kameras halten und Schabunin ein Buch der US-Verfassung schenken, mit den Worten: "Da können Sie die Rechte der Journalisten nachschlagen!" Sein Auftritt ist skurril, viele Kritiker sehen ihn mit der Staatsmacht im Bunde, für die Schabunins Arbeit immer unbequemer wird. Und für die Schabunins Prozess einen willkommenen Anlass gibt, um gegen den aufmüpfigen Anti-Korruptions-Aktivisten ein Exempel zu statuieren.
Noch keine Verurteilungen nach Ermittlungen des Nabu
Auch Nabu-Chef Sytnik ist wenig optimistisch. "Unsere Vollmachten enden, wenn wir die Ermittlungsakten an die Staatsanwaltschaft übergeben", erklärt er. Doch die Gerichte gelten weiter als unreformiert. Was dazu geführt hat, dass bisher keiner der vom Nabu ermittelten Personen rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie etwa der Chef der nationalen Steuerbehörde, Roman Nasirow, der laut Nabu bei einem Gasdeal 75 Millionen Dollar veruntreut haben soll. Nach einer Kaution von 100 Millionen Hrywnja (damals umgerechnet 3,5 Millionen Euro) wurde er vor einem Jahr wieder auf freien Fuß gesetzt. Sytnik schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. "Das ist das Jahresbudget einer ukrainischen Kleinstadt."
Wie Sytnik, so fordern viele Experten einen unabhängigen Gerichtshof, um hochrangige Korruptionsfälle auch zu ahnden. Seit Jahren wird darum gerungen, erst Ende Dezember hat Präsident Poroschenko dem Parlament einen Entwurf vorgelegt. Doch den westlichen Partnern geht dieser Vorschlag nicht weit genug. Sie befürchten, dass am Ende wieder Vollmachten ausgehöhlt, Zeitpläne verschoben und der Kampf gegen die Korruption im bürokratischen Gerangel verwässert wird. Und die politische Uhr in Kiew tickt: 2019 finden in der Ukraine wieder Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt.
Hoffnung auf unabhängigen Anti-Korruptions-Gerichtshof
Doch trotz allem will Sytnik die Hoffnung auf einen unabhängigen Anti-Korruptions-Gerichtshof nicht aufgeben. "Es ist die einzige Möglichkeit, um diejenigen, die in Korruption verwickelt sind, wirklich zur Verantwortung zu ziehen", sagt er. Denn wen kümmere es schon, wenn gegen einen korrupten Beamten oder Oligarchen ermittelt, aber am Ende doch wieder niemand verurteilt wird? "Wir müssen diesen Kreislauf der Straflosigkeit durchbrechen", sagt er. "Dann wird sich auch die Mentalität der Gesellschaft verändern", glaubt Sytnik. Damit nicht nur die Karten zwischen Macht und Gesellschaft neu gemischt werden, sondern gleich das ganze Spiel verändert wird. Ein "game changer".
Am Ende des Gespräches taut Sytnik doch noch einmal auf. Auf einer Kommode in seinem Büro liegt ein großer Bildband des Maidan. Der "Revolution der Würde", wie der Umsturz in der ukrainischen Hauptstadt genannt wird. Obwohl die Zeit für das Interview längst abgelaufen ist, lässt es sich Sytnik nicht nehmen, noch durch die Fotos zu blättern. Menschenmassen, EU-Flaggen, Aktivisten auf der Maidan-Bühne, bis hin zum Inferno aus brennenden Autoreifen und den Toten. Für wenige Sekunden blitzt hinter der kühlen Fassade des Juristen der Aktivist jener Tage auf, der selbst auf dem Maidan für eine pro-europäische Ukraine, einen Rechtsstaat und gegen das korrupte Regime unter Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch demonstriert hat.
"Es ist klar, unter Janukowitsch wäre die Gründung einer Institution wie Nabu undenkbar gewesen", sagt Sytnik. "Aber auch der neue Präsident täte gut daran, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen."