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Kiews Gegenschlag

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Das erste Gebot der Geopolitik: "Verliere niemals einen Krieg."


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Das erste Gebot der Geopolitik lautet: "Verliere niemals einen Krieg." Eine militärische Niederlage bringt meist territoriale Verluste, das Schwinden von Macht und Einfluss sowie ökonomischen Niedergang mit sich.

Im Frühling 2022 hat die Ukraine dem russischen Angriff getrotzt und die russischen Truppen vor Charkiw im Osten sowie vor Kiew im Norden zum Stehen gebracht. Im Sommer des Vorjahres konnte die ukrainische Armee dann die russischen Truppen an vielen Stellen zurückwerfen, über den Winter fror die fast 1.000 Kilometer lange Frontlinie ein, und die Kämpfe konzentrierten sich auf einige Hotspots im Donbass rund um Bachmut, Wuhledar, Awdiiwka oder Sewersk.

Mit dem Herannahen des heurigen Sommers wuchsen die Erwartungen an die ukrainische Gegenoffensive. Die Ukraine wurde seither von ihren westlichen Verbündeten aufgerüstet: mit Panzerhaubitzen, Raketeneinheiten, Panzern und Schützenpanzern aus Nato-Beständen. Die ukrainische Generalität schmiedete Pläne für eine Gegenoffensive, die nach allem, was bekannt ist, zwei Hauptstoßrichtungen verfolgt: Im Donbass geht es um die Rückeroberung von Gebieten, die seit dem russischen Angriffskrieg auf breiter Front ab 24. Februar 2022 verloren gegangen sind, und in einem zweiten Schritt von Gebieten, die im Jahr 2014 von Separatisten, die damals von Moskau unterstützt wurden, abgespalten wurden.

Die zweite Hauptstoßrichtung wird sich wohl gegen die russischen Besatzer an der Südostflanke der Ukraine richten. Die Ukraine wird nach den Erwartungen der meisten Militärexperten danach trachten, einen Keil zwischen die russischen Besatzer auf der Halbinsel Krim und den von Russland besetzten Küstenstreifen am Schwarzen Meer zu treiben. Damit würde die Ukraine zumindest teilweise die Kontrolle über Küstenabschnitte des Asowschen Meeres zurückgewinnen.

Freilich: Militärs kennen das Zitat des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke (1800 bis 1891) nur allzu gut: "Kein Plan überlebt die erste Feindberührung." Auch der beste Plan hält meist dem ersten Reality-Check nicht stand.

Der Westen muss darauf hoffen, dass die ukrainischen Militärplaner für alle Eventualitäten vorgesorgt haben und mit ihren offensiven Operationen Wladimir Putin vor Augen führen können, dass sein Krieg gegen die Ukraine im Desaster für Russland enden muss. Nur auf diese Weise wird der Kreml an den Verhandlungstisch zu bringen sein.

Die Ukraine steht jedenfalls unter enormem Druck und hat kaum eine andere Wahl, als in dieser Gegenoffensive alles zu riskieren. Denn wie lautet das erste Gebot der Geopolitik? "Verliere niemals einen Krieg."