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Kiffen fürs BIP

Von Sophia Killinger und Marina Delcheva

Wirtschaft

Geld aus Drogen, Zigarettenschmuggel und illegaler Prostitution poliert das BIP jährlich um 0,14 Prozent auf.


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Wien. Was haben eine aus Ungarn geschmuggelte Zigarettenpackung, ein Joint und ein benutztes Kondom einer illegalen Prostituierten gemeinsam? Sie tragen jährlich 462 Millionen Euro zum heimischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Genauer gesagt: Geld aus Drogenhandel, illegaler Prostitution und Zigarettenschmuggel wird seit 2008 hierzulande in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) einberechnet und damit ins BIP. Der Anteil am BIP beträgt in Österreich 0,14 Prozent. Das BIP ohne illegale Produktion beläuft sich übrigens auf 329.296 Millionen Euro. In die VGR wird dieses Geld deshalb einberechnet, weil die Dealer und Prostituierten mit ihren Erträgen hier Miete zahlen, im Supermarkt einkaufen und auch für ihr "Geschäft" ganz legal Waren erwerben.

Seit dem Vorjahr müssen alle EU-Staaten auch illegal erwirtschaftetes Geld in ihren BIP-Berechnungen berücksichtigen. Die einheitliche Berechnungsmethode soll ein genaueres Gesamtbild über die Volkswirtschaften zeigen. Grundlage dafür ist eine EU-Vorgabe zur Fassung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (ESVG) aus dem Jahr 2010. Und darin steht: "Illegale wirtschaftliche Vorgänge gelten als Transaktionen, wenn alle beteiligten Einheiten einvernehmlich an ihnen teilnehmen. Beim illegalen Kauf, Verkauf oder Tausch von Drogen oder Diebesgut handelt es sich daher um Transaktionen, bei Diebstahl dagegen nicht."

Österreich hat diese Vorgaben schon früher umgesetzt. "Der Grund dafür ist, eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Mitgliedsländern zu schaffen", erklärt ein Sprecher der Statistik Austria, die die jährliche VGR durchführt.

Denn Länder, in denen Prostitution und Drogen legal sind, hätten sonst automatisch ein höheres BIP als Länder, in denen diese Aktivitäten illegal sind - sogar wenn diese Bereiche in beiden Ländern gleich groß sind. So haben die Niederlande bisher von ihren liberalen Drogengesetzen profitiert gegenüber Ländern mit restriktiveren Richtlinien. Außerdem hängen Mitgliedsbeiträge an internationale Organisationen oder die Beiträge eines Landes zum Europäischen Budget vom Bruttonationaleinkommen ab, das neben dem Bruttoinlandsprodukt eine wichtige Kennzahl der VGR darstellt.

Kreative Schätzmethoden

Im Vorjahr, so schätzt die Statistik Austria, wurden 26 Millionen Euro aus Drogenhandel, 207 Millionen aus Zigarettenschmuggel und 229 Millionen aus illegaler Prostitution erwirtschaftet. "Natürlich kann man hier nur schätzen, und nicht alles direkt erfassen", heißt es von der Statistik Austria auf Anfrage. Konkrete Zahlen zu illegalen Prostituierten, Drogengeld oder der Menge illegal geschmuggelter Zigaretten gibt es naturgemäß nicht. Also müssen die Statistiker hier schätzen und hochrechnen, mit teils skurrilen Methoden.

Die Wirtschaftskammer (WKO) schätzte den Anteil der nicht in Österreich versteuerten, aber hier gerauchten Zigaretten auf rund 17 Prozent, wobei nicht alle illegal geschmuggelt wurden. Um zu dieser Zahl zu kommen, wurden auf auserwählten Müllhalden leere Zigarettenpackungen gesammelt und verzeichnet, wie viele eine österreichische Steuermarke habe und wie viele nicht. Außerdem wurde die Anzahl der verkauften Zigaretten dem tatsächlichen, erfragten Konsum gegenübergestellt. Die Methode ist sogar TÜV-geprüft.

Etwas weniger kreativ ist man beim Drogenkonsum und bei der illegalen Prostitution. Hier dienen, wie auch in anderen EU-Ländern, Daten von Polizei, NGOs und Forschungsinstituten als Grundlage. So schätzen Polizei und Menschenrechts-NGOs die Zahl der illegalen Prostituierten in Wien auf 3500 bis 6000. Die Statistiker gehen davon aus, dass diese rund drei Freier pro Tag bedienen. Mit diesem Wert arbeitet auch Deutschland.

Das Anton-Proksch-Institut geht in einer Studie davon aus, dass zirka ein Fünftel der Österreicher zwischen 20 und 50 Jahren zumindest ein Mal monatlich Cannabis konsumieren. Der Konsum von harten Drogen wie Heroin und Kokain befindet sich hingegen im niedrigen einstelligen Bereich. Für die Statistik werden auch Polizeidaten herangezogen - 2013 gab es mehr als 28.000 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz - und hochgerechnet.

Die Polizei könne über Preise von auf der Straße gehandelten Drogen Auskunft geben, heißt es in einem OECD-Handbuch aus 2002. Ein skurriles Detail findet sich bei den Schätzungen zur Prostitution: Dienstleistungen von Prostituierten, die sich kürzer als ein Jahr im Land aufhalten, sind als Importe zu sehen.

Die einheitlichen Vorgaben für das Berechnen von Prostitution, Drogenproduktion und -handel sowie das Schmuggeln von Zigaretten für das BIP sind zwar erst seit September 2014 in der EU verpflichtend. Neu ist das Einbeziehen dieser "illegalen Produktion" in die Wirtschaftsleistung jedoch nicht - auf internationaler Ebene wurde sie bereits seit Jahrzehnten verlangt. Viele Länder haben laut OECD zuvor jedoch keine expliziten Schätzungen für Prostitution, Drogenhandel oder Zigarettenschmuggel ausgewiesen, beziehungsweise wurde illegale Produktion nur teilweise in andere Bereiche miteinbezogen.

Größtes Plus in Italien

In Italien sorgte das Berücksichtigen illegaler Aktivitäten für ein BIP-Plus von einem Prozent im Jahr 2010, fünf Mal so viel wie im OECD-Durchschnitt. Dahinter folgt laut der OECD-Studie Spanien mit 0,9 Prozent. Nur leicht größer ist in beiden Ländern das Plus durch die Umstellung, dass Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie Rüstungsausgaben dem BIP nun als Investitionen zugerechnet werden. Auch in Polen mit 0,7 und in Großbritannien und Irland mit jeweils 0,6 Prozent Plus stieg das BIP überdurchschnittlich stark.

Den meisten Ländern hat die Einbeziehung von Prostitution, Drogen und Alkohol- und Zigarettenschmuggeln jedoch keinen Schub bei der Wirtschaftsleistung gebracht: Illegale Aktivitäten tragen laut OECD üblicherweise weniger als 0,5 Prozentpunkte zur gesamten BIP-Veränderung durch die neue Berechnungsmethode bei. Im Durchschnitt erhöhte sich das BIP in den OECD-Ländern um 0,2 Prozent 2010.

Die europäische Statistikbehörde Eurostat prognostizierte, dass sich die verpflichtende Einbeziehung der illegalen Produktion in der EU in Italien mit bis zu zwei Prozent BIP-Plus niederschlagen könnte. Ingesamt sank die Wirtschaftsleistung in Italien wegen der allgemein schlechten konjunkturellen Lage jedoch um 0,4 Prozent im Vergleich zu 2013.

Die Neuberechnung sorgte für großen Wirbel in Italien, wo politische Parteien, Richterverbände und Konsumentenschutzorganisationen im Sommer des Vorjahres heftig gegen die Einbeziehung von Drogenhandel, Prostitution und Zigarettenschmuggel in die BIP-Berechnung protestierten. "Eine Schande" hieß es von der von Silvio Berlusconi gegründeten konservativen Partei Forza Italia, ein "vom ethischen Standpunkt unannehmbarer Beschluss", ereiferte sich der Chef des italienischen Konsumentenschutzverbandes. Der Richterverband warnte davor, dass illegale Aktivitäten de facto legalisiert werden.

OECD und Europäische Kommission entgegen den Kritikern, dass das BIP die gesamte wirtschaftliche Aktivität messen soll - egal ob versteuert oder nicht, legal oder illegal, "gut" oder "schlecht".