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Kim Jong-un taktiert mit Imponiergehabe

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Chef des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Mit der Aufrüstung zur Atom- und Raketenmacht könnte Nordkorea ohne Gesichtsverlust auf Säbelrasseln verzichten.


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Nordkoreas Diktator Kim Jong-un gab zum jüngsten Test mit einer Interkontinentalrakete eine mehrdeutige Erklärung ab: Damit sei das "historische Ziel erreicht, die staatliche Atomstreitmacht fertigzustellen". Und diese stärkste aller bisher getesteten Raketen könnten das "gesamt Festland der USA erreichen". Wird Kim also nach dem Eintritt in den Klub der Atommächte auf weitere Tests verzichten oder wird er, wie vor Monaten angekündigt, einen Atomtest über dem Pazifik durchführen? Ein günstiger Zeitpunkt dafür böte sich zwischen 9. und 25. Februar während der Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang. Das nähme US-Präsident Donald Trump die Möglichkeit zur angedrohten militärischen Reaktion.

Totalitäre Regimes pflegen mit starken Sprüchen das Volk zu steuern. Das gelingt, weil diese Regimes das Informationssystem beherrschen und ausländische Informationsquellen blockieren. Die Nordkoreaner dürften sich daher für weltpolitisch stark halten und der staatlichen Propaganda glauben, dass ihr Land von Feinden umzingelt sei. Wer das nicht glaubt, bekommt es mit der allgegenwärtigen Geheimpolizei zu tun.

Nordkorea leidet stark unter den von der UNO wegen der Raketen- und Atomtests verhängten wirtschaftlichen Sanktionen. Dagegen hilft auch nicht, dass sich das Land seit Jahrzehnten intensiv darum bemüht, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen, um ja nicht erpressbar zu werden. Mit in dieses Konzept gehört die seit 20 Jahren gültige Mischung von Plan- und Marktwirtschaft, die Nordkorea aus ernsten Problemen mit der Beschaffung von Lebensmitteln befreien sollte: Die Bauern müssen nur mehr 70 Prozent der Erträge dem Staat abliefern und können 30 Prozent frei verkaufen.

So hält sich Kim an das Vorbild Lenins, der 1921 mit der "neuen ökonomischen Politik" Marktelemente einführte, um die planwirtschaftliche Sowjetunion aus wirtschaftlichem Chaos zu retten. Allerdings leidet dieses System an einer Achilles-Ferse. Nordkoreas wirtschaftlicher Fortschritt basiert auf Zuwächsen in Handel und Dienstleistungen, nicht aber auf verbesserter Produktivität. Und wegen der Sanktionen fehlen Nordkorea zunehmend importierte Waren und ausländische Kredite. Was dann? Da nützen Raketen von interkontinentaler Reichweite wenig.

Experten sind sich darin einig, dass Nordkoreas Raketen bis zu 13.000 Kilometer weit reichen. Damit wären die US-Machtzentren im Pazifik sowie zumindest die Westküste der USA und Alaska lohnende Ziele. Allerdings bleibt fragwürdig, wie zielgenau Nordkoreas Raketen sind und ob sie Atomsprengköpfe so weit tragen.

Kim Jong-un ist gewiss ein skrupelloser Potentat. Er riskiert aber keinen Krieg mit den USA, der nach Trumps arroganter Redeweise mit dem Auslöschen Nordkoreas enden würde. Angenommen, Kim verzichtet auf weitere Raketen- und Atomtests, dann wären diplomatische Kontakte möglich, an denen zumal China sehr läge. Es "braucht" Nordkorea als Puffer vor Südkorea und dessen Verbündetem USA. Ein gesicherter Status quo auf der koreanischen Halbinsel ohne militärisches Imponiergehabe böte längerfristig die Möglichkeit, dass sich Nordkorea nach Chinas Vorbild in Richtung Marktwirtschaft entwickelt und mit der Rolle als "passives Mitglied" des Atomklubs zufriedengäbe.