Zum Hauptinhalt springen

"Kim will Koreas Wiedervereinigung"

Von Klaus Huhold

Politik

Experte Rüdiger Frank erklärt, warum sich Nordkoreas Führer plötzlich konziliant gibt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

An der Grenze zwischen Nord-und Südkorea spielt sich am Freitag Historisches ab. Erstmals seit dem Ende des Koreakrieges wird mit Kim Jong-un ein nordkoreanischer Staatschef südkoreanischen Boden betreten. Kim wird mit Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in an der Demarkationslinie zwischen den beiden Staaten zusammenkommen, später werden sie im Grenzort Panmunjon an der südkoreanischen Seite die Zukunft der innerkoreanischen Beziehungen verhandeln. Die "Wiener Zeitung" sprach im Vorfeld des Gipfels mit Rüdiger Frank, einem der renommiertesten Experten zu Korea-Fragen, was von dem Treffen zu erwarten ist und welche langfristige Strategie Nordkorea verfolgt.

"Wiener Zeitung": Im vergangenen Jahr hat Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un den USA noch mit Vernichtung gedroht, nun gibt er sich konziliant. Wie erklären Sie sich diesen Wandel seiner Politik?

Rüdiger Frank: Das ist kein Wandel, sondern die nächste Phase in einer mehrstufigen Strategie. Diese ist uralt und stammt schon aus dem 19. Jahrhundert, damals nannte man das "puguk kangbyong", also "reiches Land und starke Armee". Die neueste Fassung dieser Idee wurde Ende März 2013 unter dem Namen "pyongjin" verkündet. Grob gesagt geht es Kim darum, mit einsatzfähigen Atomwaffen im Rücken die Wirtschaft zu entwickeln, um den Abstand zu Südkorea zu verringern und eine von Nordkorea geführte Wiedervereinigung zu erreichen. Egal, für wie realistisch man das hält: Das geht nicht in völliger Isolation. Derzeit ist für einen Erfolg auch ein positives Verhältnis zu den USA nötig, wenngleich ich mittelfristig eine Verschiebung der Macht im globalen Wirtschaftssystem in Richtung China sehe. Kim braucht die Öffnung westlicher Exportmärkte für nordkoreanische Produkte, die Beteiligung Nordkoreas am internationalen Finanzsystem, Direktinvestitionen westlicher Unternehmen in den über 20 nordkoreanischen Sonderwirtschaftszonen, und vieles mehr.

Wie hart wurde Nordkorea von den Sanktionen getroffen und welchen Einfluss hatten sie auf Nordkoreas politische Entscheidungen?

Die Sanktionen haben Nordkorea geschadet, aber sie haben kein Umdenken ausgelöst. Sie sind der Preis, den Kim bereit ist, für seine langfristige Strategie zu zahlen.

Wie viel ist nun von dem innerkoreanischen Gipfel zwischen Kim und Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in zu erwarten? Kann hier schon Substanzielles beschlossen werden oder ist er nur eine Art Vorbereitung auf das Treffen zwischen Kim und US-Präsident Donald Trump?

Man darf schöne Bilder und symbolische Gesten erwarten, und eine Reihe von dramatisch wirkenden Konzessionen beider Seiten. Die zwei Koreas brauchen einen hinreichend großen Erfolg, um sich gegen ein eventuelles Scheitern des Gipfels mit Trump abzusichern, oder um ein Fiasko am besten gleich zu verhindern. In Washington könnte man ein solches Scheitern nämlich als Anlass für eine militärische Lösung nehmen, und die will niemand - Pjöngjang nicht, Seoul nicht, und Peking auch nicht. Kim und Moon sind also zum Erfolg verpflichtet, und das wissen beide auch sehr genau.

Moon hat als langfristiges Ziel eine vollkommene Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel genannt, die USA fordern von Nordkorea, dass es atomar vollständig abrüstet. Ist es irgendwie vorstellbar, dass Nordkoreas Regime tatsächlich auf seine Atomwaffen verzichtet?

Aus derzeitiger Sicht erscheint das sehr unwahrscheinlich. Das heißt aber nicht, dass es keine Versprechungen für die ferne Zukunft geben wird. Papier ist geduldig. Auf dem Weg zu diesem Sankt-Nimmerleins-Tag sind aber realistische Zwischenschritte denkbar, wie ein Einfrieren des Programms, internationale Inspektionen, und diverse Zusicherungen zur Nichtweiterverbreitung.

Wie weit kann man Nordkorea überhaupt trauen? Gegner der Annäherung argumentieren, dass in der Vergangenheit Nordkorea Verhandlungsbereitschaft nur vorgetäuscht hat, um ein paar wirtschaftliche Hilfen zu erhalten, und heimlich weiter aufgerüstet hat.

Wer in den internationalen Beziehungen irgendjemandem vertraut, der sollte sich schnell einen anderen Job suchen. Es geht immer darum, ob und inwiefern eine Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen ist, oder ob die Nichteinhaltung größeren Schaden anrichtet als die Einhaltung. Entsprechend klug muss man verhandeln. Man kann Konzessionen schrittweise gewähren und von Teilerfolgen abhängig machen, es muss Sanktionsmöglichkeiten geben und Anreize zur Vertragstreue.

Welche Rolle spielt hier China. Sieht Nordkorea in Peking einen Verbündeten in seiner Auseinandersetzung mit den USA?

Nordkorea nimmt jede Hilfe, die es bekommen kann. Permanente Verbündete gibt es aber nicht, nur permanente Interessen. China ist nützlich, gleichzeitig aber noch vor den USA die größte Bedrohung für Nordkoreas Sicherheit. Das Misstrauen gegenüber Peking ist in Nordkorea sehr groß, das höre ich dort immer wieder aus verschiedenen Richtungen. Ein kleines Land hat zwei Möglichkeiten: Man unterwirft sich der einen Großmacht und hofft auf Schutz vor der anderen, oder man versucht, beide gegeneinander auszuspielen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Kim letzteres tun wird. Sein Land hat damit seit Jahrzehnten viel Erfahrung; in den 1950ern hat man dieses Manöver sehr erfolgreich mit China und der Sowjetunion gespielt.

Rüdiger Frank ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens ander Universität Wien und Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften. Er befasst sich seit 28 Jahren mit Nordkorea, bereist das Land regelmäßig und ist Autor des Buches "Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates".