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Kims Armeechef muss gehen

Von Gerhard Lechner

Politik

Ri Yong-ho galt als treuer Gefolgsmann von Ex-Diktator Kim Jong-il.


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Seoul/Pjöngjang/Wien. Eine Machtdemonstration von Nordkoreas jungem Diktator Kim Jong-un? Ein Versuch der Führung des Landes, die mächtige Armee zu kontrollieren? Ein Machtkampf innerhalb des über eine Million Mann umfassenden Militärs? Vielleicht gar ein erstes Anzeichen für eine Öffnung des abgeschotteten kommunistischen Landes?

Wie stets, wenn in Nordkorea etwas passiert, rätselt die Welt über die Motive und Hintergründe einer Entscheidung der Führung in Pjöngjang. Sicher ist derzeit nur eines: Nordkoreas Armeechef, der 69-jährige Ri Yang-ho, ist überraschend entlassen worden. Die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA gab als Grund eine unbestimmte "Krankheit" an, ohne sich weiter über die Hintergründe zu äußern. Ri war seit 2009 Generalstabchef und außerdem Vize-Vorsitzender der einflussreichen zentralen Militärkommission der nordkoreanischen Arbeiterpartei sowie Mitglied des Präsidiums des Politbüros. Von all diesen Posten wurde er nun enthoben.

Vor allem aber war Ri eines: ein treuer Gefolgsmann Kim Jong- ils, des im Dezember verstorbenen Vorgängers und Vaters des jetzigen Machthabers. Beim Trauerzug war der Generalstabschef unter den wenigen Auserwählten, die neben dem Sarg des Verstorbenen gehen durften. Freilich: Bis jetzt konnten Außenstehende keine Anzeichen erkennen, dass sich das unter dem jungen Kim geändert hätte. Das Verhältnis zwischen dem Armeechef und Kim Jung-un wurde anlässlich zahlreicher gemeinsamer Besuche bei den Streitkräften bislang als vertrauensvoll interpretiert. Dass Ri jetzt entlassen wurde, bezeichnete der Nachbar Südkorea dann auch folgerichtig als "äußerst ungewöhnlich". Experten in Seoul vermuten, dass der Armeechef in Ungnade gefallen sein könnte. Immer wieder wird auch die These laut, dass der junge Kim mit dem aufsehenerregenden Schritt die Macht des unter seinem Vater stark geförderten Heeres wieder einschränken will.

Familien regieren das Land

Eine Deutung, mit der Rüdiger Frank, Ostasien-Professor in Wien und Südkorea, nichts anfangen kann: "Eine Trennlinie zwischen Militär und Partei zu ziehen, ergibt überhaupt keinen Sinn", sagte der ausgewiesene Nordkorea-Kenner der "Wiener Zeitung". Er verweist darauf, dass das Land seit dem Sieg der Kommunisten unter Übervater Kim Il-sung im internen Machtkampf in den 50er Jahren von rund 50 Familien beherrscht wird, die eine Art Aristokratie bilden. Diese Aristokratie ist vielfältig miteinander verbunden, auch durch verwandtschaftliche Bande. "Wenn da die Partei gegen die Armee vorgeht, würden sich die Machthaber gewissermaßen den Ast abschneiden, auf dem sie sitzen - das wäre ein Schuss ins eigene Knie", sagt Frank. Konflikte vermutet er eher zwischen Familien, nicht zwischen Institutionen.

Dass Kim Jong-un eine vorsichtige Öffnung seines Landes anstrebt, hält Frank aber zumindest für möglich: Schließlich könne er sich als Enkel des mythisch verehrten Staatsgründers Kim Il-sung nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit auf den Großvater berufen wie noch Kim Jong-il auf seinen Vater. Gut möglich, dass er also mit wirtschaftlichen Erfolgen seine Macht zu festigen sucht. Anzeichen dafür gibt es bereits: Nordkoreas Wirtschaft wächst bescheiden, vor allem die Landwirtschaft erreicht offenbar auch höhere Wachstumsraten. In Pjöngjang soll laut Besuchern ein Bauboom im Gange sein. Kim Jong-il gibt sich betont volksnah, besucht Kindergärten und zeigt sich, wie jüngst bei einer Aufführung mit Disney-Figuren, mit einer jungen Frau in der Öffentlichkeit - in Nordkorea eher ungewöhnlich. Ob all das aber schon wirkliche Öffnung bedeutet, vor allem für die politischen Häftlinge, ist mehr als fraglich.