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Kind und Beruf kaum vereinbar

Von Veronika Gasser

Wirtschaft

Claus Raidl fordert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die Familienpolitik in den Fokus zu nehmen. Denn in Österreich ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein riesiges Problem, da es viel zu wenig Kinderbetreuungsplätze gibt, kritisiert der Chef des Stahlkonzerns Böhler-Uddeholm und Berater von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Die Regierung müsse sich dieser Herausforderung endlich stellen. Er ist überzeugt, dass davon auch die Wirtschaft enorm profitieren würde.


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Raidl ist Schirmherr der wirtschaftspolitischen Agenda der ÖVP, in der die Richtung für künftige wirtschaftspolitische Entwicklungen gezeichnet wird. Das umfangreichste ihrer drei Kapitel widmet sich dem Thema Arbeit und Arbeitszeitflexibilisierung. Was dabei jedoch ausgespart wurde, aber fast alle Beschäftigten betrifft, ist die Antwort auf die Frage: Wie können Beruf und Familie in Einklang gebracht werden?

Als Chef eines großen Konzerns weiß Raidl, dass das Problem unter den Nägeln brennt, ist er doch selbst immer wieder damit konfrontiert. So hatte sich eine Mitarbeiterin von ihm erst vor kurzem über fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen und den Einkommensausfall in der Karenz beklagt: Zwei Jahre beim Kind zu bleiben, sei für sie aus finanziellen Gründen kaum verkraftbar. Der Böhler-Vorstand erinnert sich an jene Zeit, in der er im Werk Kapfenberg begonnen hat: Damals gab es noch einen Werkskindergarten, der längst dem Rotstift zum Opfer gefallen ist.

Er denkt daran, wieder Betreuungseinrichtungen im Betrieb zu schaffen und rät dies auch anderen Unternehmen. Allerdings verlangt er für eine solche Sozialleistung der Wirtschaft steuerliche Anreize. Weiters sollten in einer zweiten Phase der Familienpolitik ausreichend viele Kinderbetreuungsplätze finanziert werden, lautet sein Credo. Die Schuld für die Versäumnisse der letzten Jahre gibt er dem "katholischen Einfluss in der ÖVP, demgemäß die Frau bis zum dritten Lebensjahr beim Kind bleiben muss".

Keine positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt erwartet sich der VP-Wirtschaftsexperte von einer Senkung der Lohnnebenkosten, wie sie von Industrie und Wirtschaftstreibenden gefordert wird. "Bei der Lohnnebenkosten-Diskussion würde ich leiser treten," rät Raidl angesichts der guten Bilanzen heimischen Firmenbossen.

Als Beispiel erwähnt er die Wohnbauförderung, die für Arbeitgeber und -nehmer je 0,5% vom Gehalt ausmacht. "Wir müssen ehrlich sein: Wenn die Wohnbauförderung abgeschafft wird, stellt deshalb niemand einen Arbeitssuchenden ein. Die Ersparnis wandert in den Gewinn."

Stark macht sich der Böhler-Chef hingegen für mehr Geld, das in Forschung und Ausbildung fließen soll. Obendrein müssten Spitzenforschung gefördert und ins Ausland abgewanderte Forscher wieder nach Österreich gelockt werden.

Dass allein mit einer Bildungsoffensive das Problem der Massenarbeitslosigkeit gelöst werden könne, glaubt Raidl nicht. "Es gibt viele, die nicht auszubilden sind." Um ungelernte Kräfte am Arbeitsmarkt unterzubringen, schlägt er die Schaffung eines Niedriglohn-Sektors à la USA vor: "Der Arbeitslose bekommt einen Kombi-Lohn, der je zur Hälfte vom Unternehmen und vom Arbeitsmarktservice (AMS) finanziert wird. Der Staat erspart sich die Hälfte des Arbeitslosengeldes."

Raidl sieht die damit verbundene Gefahr: Vom AMS geförderte Massenentlassungen. Um solchen vorzubeugen, müsste für bereits angestellte betroffene Mitarbeiter Kündigungsschutz gelten.