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Kinder bereiten sich auf EU vor

Von Ulrike Koltermann

Europaarchiv

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Am östlichen Rand Deutschlands fallen die Staatsgrenzen vermutlich schneller als die Sprachbarrieren. Dabei ist das Interesse am Nachbarn ungleich gewichtet: Polen und Tschechen sind eher geneigt, Deutsch zu lernen als umgekehrt. Um so wichtiger sind mit Blick auf die EU-Erweiterung die Schulen, an denen deutsche und polnische oder tschechische Schüler gemeinsam unterrichtet werden.

"Bei uns läuft das prima", sagt die 16-jährige Sabine Rachlitz, die das bundesweit erste Deutsch-Tschechische Gymnasium in Pirna besucht. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder will sich diese Schule bei seiner Sommerreise durch Ostdeutschland ansehen. Das Schiller-Gymnasium liegt etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Seit drei Jahren nimmt es auch tschechische Kinder auf. Der Unterricht findet abwechselnd in beiden Sprachen statt.

Tschechen können besser Deutsch

"Die meisten Tschechen können besser Deutsch als wir Tschechisch", sagt Sabine. Deshalb werden zunächst nur Sport, Kunst und Musik in Tschechisch unterrichtet. Später kommen sprachlastigere Fächer wie Geschichte oder Ethik hinzu. Je 15 Plätze werden für jede Sprachgruppe jährlich nach einem Auswahlverfahren vergeben.

Einige Schüler lernen nicht nur zusammen, sondern leben auch unter demselben Internatsdach in der Altstadt von Pirna. Finanziert wird das deutsch-tschechische Gymnasium überwiegend vom Bundesland Sachsen. Für die zweisprachigen Lehrer und zur Unterstützung der tschechischen Schüler gibt es jährlich etwa 700 000 Mark (357.904 Euro/4,92 Mill. S) hinzu.

Geld vom Land Sachsen und dem Bund

"Gerade die jungen Menschen für die Geschichte, Kultur und Lebensweise des Partnerlandes zu sensibilisieren", das war das Ziel der 1998 unterzeichneten Vereinbarung des sächsischen und tschechischen Kultusministeriums. Viele Schüler haben inzwischen grenzüberschreitende Freundschaften geschlossen. Anne Sonntag ist 15 Jahre alt und hat im vergangenen Schuljahr ein Praktikum in einem tschechischen Kindergarten gemacht. "Ich habe dort viel gelernt", sagt sie, "und ich bin toll aufgenommen worden in meiner Gastfamilie".

Die Sprachen der beiden EU-Kandidaten Polen und Tschechien spielen in deutschen Lehrplänen kaum eine Rolle. Bundesweite Zahlen liegen der Kultusministerkonferenz derzeit nicht vor. "Dafür interessiert sich eben niemand", heißt es dort. In Sachsen lernten im vergangenen Schuljahr etwa 1400 Schüler Tschechisch, das sind 0,3 Prozent. Für Polnisch entschieden sich 300 Jungen und Mädchen, also 0,06 Prozent. "Wir hoffen sehr, dass das Interesse an Polen noch wächst", heißt es im Kultusministerium.

Taferlklassler lernen Polnisch

In Görlitz, nur durch die Neiße von Polen getrennt, ist man dabei schon auf bestem Wege: Von August an können bereits Erstklässler Polnisch lernen. Besuche einer Partnerschule, Musik und Theater auf Polnisch stehen auf dem Stundenplan. In einem Görlitzer Gymnasium bilden deutsche und polnische Schüler erstmals eine gemischte Klasse. Über einen vollständigen bilingualen Bildungsgang ähnlich wie in Pirna wird derzeit noch verhandelt.

Wenn sich die Märkte im Osten erst öffnen, werde dies auch die Sprachwahl der Schüler beeinflussen. Wer dann schon Polnisch oder Tschechisch kann, hat natürlich bessere Chancen. "Ich kann mir gut vorstellen, in Tschechien zu studieren", sagt die 15-jährige Anne.