Kritik an fixen Abholzeiten in der Nachmittagsbetreuung an Schulen.
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Wien. Wenn Sonja ihren Sohn früher von der Nachmittagsbetreuung geholt hat, ist das unproblematisch gewesen, erinnert sie sich. Außerhalb der fixen Abholzeiten habe sie einfach eine Notiz ins Mitteilungsheft geschrieben oder einer Bekannten Bescheid gegeben. Früher, also noch vor ein, zwei Jahren, habe man unter den "fixen Zeiten" außerdem "halbstündlich" verstanden.
Inzwischen hat sich einiges geändert - auch in der offenen Volksschule am Kaisermühlendamm. Abholen sollen Eltern ihre Kinder nur noch zu vollen Stunden, die sie für jeden Wochentag vor Semesterbeginn angeben müssen. Erst ab 16.30 Uhr dürfen sie die Kids jederzeit mit nach Hause nehmen, bis 17.30 Uhr wird betreut. Wer außerhalb dieser Zeiten kommt, muss sich namentlich in ein Buch vor der Direktion eintragen. Schafft es die Mutter oder der Vater nicht, rechtzeitig in der Schule einzutreffen, weil sie oder er etwa im Stau steht oder der Chef kein Verständnis für vorgegebene, stündliche Abholzeiten hat, heißt es: Bitte warten. Dann wird das Kind vom Treffpunkt wieder zurück in die Klasse gebracht, bis der Erziehungsberechtigte kommt.
Sonja und eine weitere betroffene Mutter, Anna, sind beide berufstätig und kennen die Situation, wenn man es nicht auf die Minute genau zur Nachmittagsbetreuung geschafft hat. Oder an einem schönen Tag gerne etwas mit dem Kind unternehmen möchte, sich dann aber nicht an die Zeiten halten könnte.
"Sicherheitsmaßnahme"
Das Versperren der Schule ist als Sicherheitsmaßnahme zu verstehen, versucht Bezirksschulinspektor Rudolf Reiner zu beruhigen. Immerhin sei es in der Vergangenheit bereits zu einem Zwischenfall mit einer schulfremden Person gekommen - sowohl in der Schule am Kaisermühlendamm als auch in anderen, wie etwa in einer Liesinger Volksschule: "Es geht einfach darum, dass die Kinder im geschützten Bereich sind."
Grundsätzlich ist in Kaisermühlen wie in jeder anderen offenen Volksschule in Wien anzugeben, wann abgeholt wird, aber trotzdem können Eltern ihre Kinder jederzeit mitnehmen. Da es in dieser Schule baulich nicht anders möglich ist, müssen die Eltern in solchen Ausnahmefällen jedoch ihren Namen bekanntgeben und auf den Schulwart warten, damit er die Garderobe öffnet. Das dauere in der Regel kaum länger als fünf oder zehn Minuten, so Reiner. "Und wenn es vorhersehbar ist, dass das Kind anders als stündlich abgeholt wird, kann es die Schulsachen bereits in die Klasse mitnehmen."
Als Mitglied des Elternvereins verfolgt Anna den Konflikt schon lange. Während der Bezirksschulinspektor meint, er kenne zwar die Probleme, habe aber seit Monaten keine Beschwerden mehr aus Kaisermühlen gehört, gibt sie an, dass es sehr wohl weiter schwelt. Viele hätten sich aber inzwischen mehr oder weniger damit abgefunden, holen ihre Kinder ganz unkonventionell ab oder lassen sie alleine nach Hause gehen. Bei manchen Elternteilen haben die Streitigkeiten Spuren hinterlassen. "Ich fühle mich schon selbst, als wäre ich die Schülerin, die zur Direktorin muss, schleiche mich mit einem unguten Gefühl in die Schule", klagt eine Mutter. Sie fragt sich, ob hier die Kinder oder die Eltern "erzogen" werden soll. Bei Versammlungen zur Problematik "wurde über uns drübergefahren, wir wurden quasi vor vollendete Tatsachen gestellt", ärgert sich Anna.
"Sache der Schulleitung"
Brigitte Kopietz vom Verein Wiener Kinder- und Jugendbetreuung ist mit ihrem Team für die Freizeitbetreuung in mehr als 80 ganztägig geführten, öffentlichen Volksschulen zuständig, unter anderem auch am Standort Kaisermühlendamm. Sie betont, dass organisatorische Rahmenbedingungen wie Abholzeiten in jeder Schule individuell festgelegt werden. Und zwar durch die Schulleitung, der die Mitarbeiter des Vereins unterstellt sind. Auch wenn ein gutes Einvernehmen zwischen den Freizeitpädagogen beziehungsweise Betreuern und den Erziehungsberechtigten sehr wichtig ist, bleibt doch immer die jeweilige Schulleitung erste Ansprechperson, äußert sich Kopietz auf Anfrage.
Viel Hoffnung kann Reiner den Kaisermühlner Eltern zumindest für die nahe Zukunft nicht machen. Denn durch die vorhandene Zentralgarderobe sei ein anderes System derzeit kaum möglich. So wie etwa auch in der Herzmanovsky-Orlando-Gasse in Floridsdorf, einer weiteren offenen Volksschule mit Nachmittagsbetreuung. Auch dort ist das Gebäude ab 14 Uhr versperrt, auch dort können Eltern ihre Kinder nur stündlich abholen, sagt Reiner.
Aus für Zentralgarderoben
Für Ausnahmen gibt es aber ein Schulhandy, auf dem Eltern anrufen können. Weil man aber wohl auch im Stadtschulrat weiß, dass das vielerorts noch bestehende System nicht das beste ist, versuche man derzeit in ganz Wien, von Zentralgarderoben wegzukommen, verrät Reiner.
Für Sonjas und Annas Kinder wird es dann vermutlich zu spät sein. Aufgeben wollen die beiden nicht, aber schon gar nicht ihre Kinder in eine private Nachmittagsbetreuung wechseln lassen. Vor allem, weil die Kids hier ihre Freunde haben und beide Mütter Streitigkeiten nicht auf ihrem Rücken austragen möchten. Aber auch für Eltern künftig schulpflichtiger Kinder stellen sich die beiden die Frage: "Wenn das Gesetz das so vorschreibt, okay, aber ist das wirklich noch zeitgemäß?"
Mehr Geld für Betreuung
Aber vielleicht bringt ja die neue Bundesregierung Verbesserung - immerhin sollen laut Regierungsprogramm in den nächsten vier Jahren 400 Millionen Euro für den Ausbau schulischer Tagesbetreuung zur Verfügung stellen, wovon ein großer Teil Wien zugutekommen wird.