Betreuungsangebot ist positiver als Nichtbetreuung. | Eine Reihe von Qualitätsansprüchen ist einzufordern. | Gmunden. Die Suchspannung vieler Eltern nach Nachmittagsbetreuung für ihre Kinder nimmt eindeutig zu. Das hat Gründe in den veränderten Familien- und Lebensformen. Wenn wir diesen Bedürfnissen entsprechen, werden wir aber nicht nur das Betreuungsinteresse der Eltern, sondern in erster Linie das Wohl des Kindes im Auge haben müssen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Grundsätzlich ist einmal jede Form eines Angebots von Betreuung am Nachmittag positiv zu bewerten, wenn sie einer Nichtbetreuung gegenüber steht. Es ist heute nicht selbstverständlich, dass Kinder in der unterrichtsfreien Zeit eine förderliche Betreuung haben.
Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Viele Frauen wollen oder müssen an mehreren Nachmittagen arbeiten, viele Väter können oder wollen nicht einige Nachmittage für die Kinderbetreuung frei sein, und die Opas und Omas sind oft nicht in der Nähe oder haben selbst nicht Zeit. Nachmittagsbetreuung an Schulen oder in Gemeinden sind hier Abhilfen. Die Schüler haben dort Ansprechpersonen, Gleichaltrige zum Spielen, Unterstützung bei Hausübungen und beim Lernen, qualitative Freizeit- und Sportangebote etc.
Es gibt aber eine Reihe von Qualitätsansprüchen, die hier zum Wohl der Kinder einzufordern sind:
Raumqualität im Haus und in der Natur
Viele Schulen bestehen derzeit räumlich bloß aus Klassen und Gängen. Die Klassen sind geschaffen, um dort am Vormittag Unterricht zu ermöglichen. In diesen Klassen auch am Nachmittag die Kinder zu betreuen ist, salopp formuliert, nicht "artgerechte Kinderhaltung".
Kinder brauchen Bewegung: Spielplätze, Sportstätten, natürliche Wiesen und Bäume . . .
Sie brauchen Ruheplätze und Räume zum Rückzug.
Sie brauchen Räume zum Lernen und möglicherweise zum gemeinsamen Problemlösen.
Sie brauchen Natur, naturnahe Lebensformen, um entdecken und sich entwickeln zu können.
Sie brauchen Raum für Hobbys, zur Entfaltung ihrer Talente und Interessen etc.
Wenn wir heute die 15- bis 17jährigen Schüler in weiterführenden Schulen ihren Schulalltag beurteilen lassen, so schneiden die Möglichkeiten des körperlichen Ausgleichs zum Sitzen, die Zeit, die zwischen den Unterrichtsstunden zum Entspannen vorhanden ist, und generell die räumlichen Möglichkeiten zur Bewegung und Entspannung mit weitem Abstand am schlechtesten ab.
Altersentsprechende Sozialkontakte
Schüler müssen nachmittags auch Gleichaltrige treffen mit denen sie am Vormittag nicht gemeinsam in der Klasse sitzen. Die bieten ein Gegengewicht zum Image in der Klasse.
Durch verschiedene Tätigkeiten werden mehrere Gemeinschaften entstehen, in denen der Schüler unterschiedliche Gruppenpositionen und unterschiedliche Rollen und Images erfährt.
In diesen Gemeinschaften entsteht Verantwortlichkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen.
Es kann und soll in diesen Gemeinschaften zur Einführung in das örtliche oder regionale Vereinsleben kommen: in Sportvereine, Kulturinitiativen, die Kinderorganisationen, die naturverbundenen Vereine, die örtlichen Hilfsdienste usw.
Anregungen zur Talenteförderung
Musikerziehung, eventuell in Kooperation mit den Musikschulen.
Sportliches Training.
Praktische, handwerkliche, technische und andere Tätigkeiten und Förderungen.
Lesen und Sprachentwicklung.
Hobbys etc.
Freizeit
Mit gutem Recht verbieten wir Kinderarbeit. Auch die ganztägige Schule, die nicht für die Freizeit vorsorgt, ist Kinderarbeit. Kinder brauchen Zeit, in der sie nichts tun, "herumhängen", träumen, aber auch herumstreunen, basteln zeichnen oder auch fernsehen oder Musik hören können. Wenn wir wissen wie schlecht bei manchen Kindern die Motorik, die Koordination von Bewegungen und damit natürlich auch die Schreibkompetenz und die Erfahrung von Natur, Bewegung, Schmerz und Gefahr ausgeprägt sind, so ist zu erahnen, wie wichtig diese Bewegung in der Natur für unsere Kinder ist.
Dr. Erich Brunmayr ist Sozialforscher, Mathilde Stockinger Betreuungslehrerin in Gmunden.