Zum Hauptinhalt springen

Kinder sind keine Objekte mehr

Von Oliver Scheiber

Recht
© adobe.stock / KaYann

Der Zugang zu Kindern im Rechtssystem hat sich radikal geändert. Das elterliche Züchtigungsrecht zum Beispiel wurde erst 1977 abgeschafft.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Abschiebung mehrerer Schulkinder, die zuletzt für enormes Aufsehen gesorgt hat, macht uns auch auf den generellen Umgang mit Kindern im Rechtssystem und in Behördenverfahren aufmerksam. Es ist gar nicht so lange her, nämlich nur rund 30 Jahre, dass Kinder im Gerichtsverfahren eher die Stellung von Objekten hatten - die dann zum Beispiel im Scheidungsverfahren so wie ein Auto oder Kredite zwischen den Eltern aufgeteilt wurden.

Dieser Zugang hat sich im Familienrecht radikal geändert. Kinder sind zu Rechtssubjekten und Trägern eigener Rechte geworden. Ihre Meinungen sind von den Familiengerichten einzuholen, je nach Altersstufe sind allenfalls Psychologinnen und Psychologen für die Befragung beizuziehen. Ein Kinderbeistand wurde eingeführt, der als Anwalt der Kinder einschreitet. Wie viel sich in Sachen Kinderrechte verändert hat, wird deutlich, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass das elterliche Züchtigungsrecht erst 1977 abgeschafft und ein unmissverständliches Verbot von Gewalt gegen Kinder erst 1989 im Gesetz verankert wurde. Die sogenannte "g’sunde Watschn" war also sehr lang gesetzlich legitimiert. Der Wiener Kinderarzt Hans Czermak hat die öffentliche Diskussion in den 1970er-Jahren angetrieben und viele Jahre lang auf das Gewaltverbot hingearbeitet.

Besonders verletzliche Personengruppe

Heute ist vieles anders, besser. Kinder werden, so wie auch alte und kranke Menschen oder Menschen, die nicht die Amtssprache sprechen, im Rechtssystem zu besonders verletzlichen Personengruppen gezählt. Vor allem auf europäischer Ebene hat man sich in den vergangenen Jahren sehr engagiert, diesen sogenannten vulnerablen Gruppen einen besonderen gesetzlichen Schutz zukommen zu lassen. Sowohl Europarat also auch Europäische Union haben zahlreiche Regelungen zum Schutz der besonders verletzlichen Personengruppen erlassen - in Behörden- und Gerichtsverfahren werden besondere Schutzmechanismen wie etwa eine zwingende anwaltliche Vertretung eingebaut.

Wenn wir bei den Kinderrechten bleiben, so bildet auf globaler Ebene die UN-Kinderrechtskonvention eine wichtige Rechtsgrundlage des Kinderschutzes. Die Konvention ist in Österreich im Verfassungsrecht durch das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte des Kindes umgesetzt. Es ist seit 2011 in Kraft und betont die Bedeutung des Kindeswohls für alle Behördenverfahren.

Der Europarat wiederum hat zum Beispiel Leitlinien für eine kindgerechte Justiz erlassen, die sehr innovativ Regelungen für den Umgang von Gerichten mit Kindern aufstellen. Dabei geht es zunächst darum, Kinder so weit wie nur möglich am Verfahren zu beteiligen und ihre Wünsche und Meinungen einzuholen. Auch sollen Kinder in schwierigen Familien- oder Strafrechtsverfahren so schonend und selten wie möglich zur selben Frage einvernommen werden, um Belastungen und (Re-)Traumatisierungen so gut als möglich zu vermeiden. Man versucht dann zum Beispiel, in einer einzigen Befragung die verschiedenen Erhebungswünsche von Schule, Jugendamt, Staatsanwaltschaft oder Gericht zusammenzufassen, um eine Vielzahl von Vernehmungen in verschiedenen Verfahren zu verhindern.

Asyl- und Fremdenrecht hängt nach

Eine Strategie geht auch dahin, Kinder möglichst schonend entweder am selben Ort oder in ihrer Wohnumgebung zu befragen. Jüngere EU-Richtlinien befassen sich ebenso mit dem Schutz vulnerabler Gruppen, insbesondere der Kinder, etwa dann, wenn Kinder und Jugendliche Verdächtige oder Opfer von Straftaten im Strafverfahren sind. Das nationale Recht setzt viele dieser internationalen und europarechtlichen Vorgaben um. Im Familienrechtsverfahren etwa besteht mittlerweile ein hohes Kinderschutzniveau.

Das Asyl- und Fremdenrecht hängt im Schutzniveau wie bei so vielem auch beim Schutz der Kinder nach. Die aktuellen Fälle machen das deutlich, wurden doch die Kinder selbst vielfach gar nicht zur Frage der Integration einvernommen und abgeschoben, ohne selbst befragt worden zu sein. Das ist ein im Jahr 2021 vernichtender Befund der Rechtskultur, und deshalb macht auch die Einsetzung einer Kindeswohlkommission Sinn, auch wenn sie aus der Not einer kleinen Regierungspartei geboren sein mag.

Regelungen sind vielen Praktikern unbekannt

Die Schwäche des Kinderschutzes in einzelnen Bereichen liegt vor allem auch darin begründet, dass die oben aufgezählten internationalen und europarechtlichen Regelungen vielen Praktikerinnen und Praktiker sowohl in Anwaltschaft als auch in Beamtenschaft und Richterschaft unbekannt sind. Die Kinderrechte und die internationalen und europarechtlichen Regelungen zum Kinderschutz spielen oft im universitären Studium keine Rolle, und auch nicht in der Ausbildung von Beamten und Richterschaft. Die aktuellen Diskussionen wären ein guter Anlass, die internationalen und europäischen Kinderschutzregelungen besser ins nationale Recht umzusetzen - vor allem im Bereich des Asyl- und Fremdenrechts. Auf wirklich breiter Ebene sollte man an der rechtswissenschaftlichen Fakultät und in der Ausbildung der Beamtinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Rechtsanwälte das Wissen über den rechtlichen Schutz der Kinder verbreiten und damit die Behörden- und Gerichtskultur verändern. Am Umgang mit den schwächsten Gliedern misst sich schließlich die Qualität eines Rechtssystems.

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at

Zum Autor~