Kavaje · Für die unter grausamen Bedingungen mit ihren Familien vertriebenen Kinder aus dem Kosovo hat die Kindheit ein jähes Ende genommen. Zu viel haben sie erlebt, seit sie ihre | Heimatdörfer verlassen mußten. Im Flüchtlingslager von Kavaje in Albanien, so miserabel die Lebensverhältnisse dort auch sind, können sich die traumatisierten Kleinen zumindest den brennenden Schmerz | von der Seele zeichnen.
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Das vom albanischen Kulturministerium organisierte psychologische Hilfsprojekt "Blöcke und Farbstifte für Flüchtlingskinder" wird auch von der EU unterstützt. Hinter der Absicht, den Kindern eine
Freude zu bereiten, steht das Anliegen, die Leiden und die seelische Not der Kinder zu erkunden. Die Kinder stürzen sich mit Eifer in die Zeichnerei. Es gibt keine Vorschriften, sie dürfen zeichnen,
was sie wollen.
"Diese Kinder sind die Zukunft des Kosovo, wir müssen ihren seelischen Schmerz herausfinden, um sie behandeln zu können", sagt Arben Papadhopulli, der für das Projekt zuständige Leiter der
Kunstabteilung des Kulturministeriums. In der kommenden Woche werden die Zeichnungen in der albanischen Nationalgalerie ausgestellt. Die Bilder werden von einer internationalen Psychologen-und
Psychiatergruppe analysiert, um die Kinder entsprechend betreuen zu können. Die EU ist an diesem Projekt beteiligt.
Unter den Kindern sind mehrere "kleine Greise". Kinder, deren Gesichter wie die von 70jährigen aussehen, die nie lächeln. Die Zeichnungen sind von beklemmender Aussagekraft. Es sind eindrucksvolle
Zeugenaussagen über die Geschehnisse im Kosovo. Die Kinder sind ehrlich, sie zeichnen sich ihren Schmerz von der Seele. Zwischen fünf und 13 Jahre sind die kleinen Zeichner alt, die meisten Werke
stammen von Acht- bis Neunjährigen.
Blumenbilder oder Dorfidyllen sind rar. Die meisten Kinder schildern brennende Häuser, lodernde Dörfer. Fast immer steht auch das Winterfutter für das Hausvieh in Flammen. Bilder von zu Ruinen
geschossenen Häusern sind in der Überzahl, der Zerstörer ist meist ein Panzer oder ein Hubschrauber. Aber es gibt auch Abbildungen von ganzen Panzerkolonnen und von Belagerung. Die zerstörerischen
Panzer weisen ganz deutlich serbische Embleme auf, aber einige Buben haben auch NATO-Maschinen, die serbische Panzer zerstören, gezeichnet.
Die Zeichnungen sind auch Beweise für Kriegsverbrechen im Kosovo, obwohl sie nicht als solche gedacht sind. Grausamkeit und Ausmaß der Verbrechen übersteigen das Vorstellungsvermögen. In der
Zeichnung einer Achtjährigen aus Mitrovica knieen vier Männer neben ihrem brennenden Elternhaus, Serben schießen ihnen in den Nacken. Einige Bilder zeigen frische Gräben, in einigen liegen Leichen.
Ein Bild zeigt eine aufgehängte Katze. Tot auf dem Boden liegende Haustiere kommen sehr oft vor. In einem brennenden Haus steht ein Mensch mitten in den Flammen. An den Hauswänden sind oft Schlingen
zu sehen, mehrstöckige Häuser weisen solche Schlingen in jedem Stockwerk auf. Oft sind die Schlingen leer, manchmal hängt eine Leiche daran. Auf einer Zeichnung wird ein Kind erschossen. Auch ihre
Flucht haben die Kinder oft ins Bild gebannt. Panzer und Soldaten kommen, Menschen laufen davon. Die Bilder beschreiben auch, daß Flüchtlingsbusse beschossen wurden. Viele Kinder sind über die Tränen
der Mutter erschüttert. Oder gehören die übergroßen weinenden Frauengesichter zu Vergewaltigten? Einige Abbildungen zeigen, daß der kleine Zeichner sehr verstört ist, sich nicht mehr ausdrücken kann.