Zum Hauptinhalt springen

Kinderarbeit und Schulpflicht

Von Ernst Smole

Gastkommentare

1774 - die Festsetzung des Beginns der Schulpflicht mit sechs Jahren war ein Kompromiss mit den Magnaten, die diese ablehnten, da Kinderarbeit in Landwirtschaft und Bergbau unverzichtbar war. Entwicklungspsychologische Fakten spielten keine Rolle.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kinder steigern bis zum 3. Lebensjahr durch das Erlernen der Muttersprache die Lernfähigkeit hin auf einen Zenit, da sie in dieser Lebensphase intensive Zuwendung der Angehörigen erfahren: Niemand wünscht sich, als Eltern "dummer Kinder" zu gelten. Dann nimmt das Elterninteresse meist deutlich ab - die Lernfähigkeit sinkt, um mit dem Schuleintritt oft mühsam reaktiviert zu werden.

Im Judentum beginnt die Schulpflicht seit 2500 Jahren mit dem 4. Lebensjahr. Sie ist keine Schule im Sinne jener für unsere Sechsjährigen. Sie wird "Zimmer" genannt, den Unterricht für die Kleinsten hält die Frau des Lehrers der größeren Kinder. Es werden Geschichten erzählt, über die die Kinder diskutieren, es werden die ersten Buchstaben gemalt - die Anforderungen steigen unmerklich.

Die unüberwindbare Hürde für eine Vorverlegung der Schulpflicht ist, dass deren Befürwortern fälschlich unterstellt wird, sie wollten vierjährige Kinder mit dem Lernstoff der jetzigen 1. Klasse konfrontieren und überfordern.

Das unsägliche Gezerre um Pflichtkindergarten, kostenlosen, sozialselektiv halbkostenlosen oder gebührenpflichtigen Kindergarten, (Nicht-)Straffreiheit bei Verweigerung zeigt, dass ausschließlich die Positionierung der Frühbildung der Kinder als vom Bund verantwortete Pflichtschule Klarheit und Sicherheit in Schulrecht, Pädagogik und Organisation schaffen kann - als vom 4. bis zum 14. Lebensjahr währendes Kontinuum.

Diese Schule ist neben den pädagogischen Aspekten der wichtigste Faktor für Integration: Je früher Kinder in altersadäquaten Lernsituationen zusammentreffen, desto leichter lernen sie, sich aneinander zu gewöhnen.

Es gilt, ein adäquates Curriculum zu entwickeln, das sich an anderen Kulturkreisen - besonders am Judentum - orientiert.

In dieser frühen Schulphase sollten Kindergartenpädagogen mit Zusatzausbildung gemeinsam mit Lehrern tätig sein. Je jünger die Schüler sind, desto größer ist die Verantwortung der Pädagogen. Diese Tatsache soll sich in Ausbildungsdauer, Ausbildungsintensität und Bezahlung dokumentieren.

Kinder wurden - schamlos ihre in Unerfahrenheit begründete "Angstfreiheit" ausnutzend - oft dort eingesetzt, wo es Erwachsenen zu gefährlich war. Befreien wir uns endlich von der Hypothek der zu späten Schulpflicht, die ihre Wurzel in einer der grausigsten Ausprägungen ökonomischer "Kreativität" von Erwachsenen hat: lebensgefährlicher Kinderarbeit.

Ernst Smole leitet die "Internationalen Musikkurse Mürzzuschlag" des Internationalen Forums für Kunst, Bildung und Wissenschaft.