Die Zeiten, in denen Kinderlosigkeit einen schweren Schicksalsschlag bedeutete, sind längst vorbei. Heute entscheidet der Großteil der Paare selbst, ob Nachwuchs kommen soll oder nicht. Sehr häufig sind es dabei die Frauen, die sich für oder gegen Nachwuchs entscheiden. Diese Entscheidungen werden neben vielen anderen Faktoren nicht unwesentlich von Erlebnissen, Prägungen und familiären Konstrukten in der Ursprungsfamilie beeinflusst.
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So erzählt die Physiotherapeutin V. A. (Name der Redaktion bekannt) heute 39 Jahre alt, dass die Situation in ihrer Ursprungsfamilie mit einer alleinerziehenden Mutter und zwei sehr labilen Schwestern ihren Kinderwunsch sehr negativ beeinflusst hat. "Ich bin schon mit 17 Jahren von zuhause weggegangen, weil mich meine Mutter psychisch enorm belastet hat. Sie wurde von unserem Vater verlassen und hat ihre Kränkung an uns Töchtern ausgelassen. Für mich blieb unsere damalige Lebenssituation ein Trauma. Ich denke, dass ich es deshalb nicht geschafft habe, mir ein Leben mit Kind und Mann aufzubauen. Die Männer, die ich vor zehn Jahren kannte, kamen für die Rolle eines verlässlichen Vaters nicht in Frage. Das war hart, denn ich hatte zu dieser Zeit einen starken biologischen Kinderwunsch. Meine Kinderlosigkeit ist die Folge der eigenen Verunsicherung. Ein Leben als alleinerziehende Mutter konnte ich mir nie vorstellen. Dazu war die Erinnerung an meine unglückliche Mutter zu stark. Ich war bis vor wenigen Jahren sehr vielen Ängsten ausgesetzt und habe lange gebraucht, mich selbst zu finden. Den Wunsch nach einem Kind habe ich heute ganz aufgegeben. Ich glaube, dass ich mich heute für eine Lebensform entschieden habe, die für mich "machbar" ist. Die Bindung zu Kindern ist nach wie vor sehr wichtig. Ich finde sie bei den Kindern meiner Schwestern und Freunde. Sie nehmen meine Liebe und Zuwendung gerne an."
A. S. (Name ist der Redaktion bekannt) wäre auch gerne Mutter geworden. Ihre Kinderlosigkeit hat sie heute ganz akzeptiert, meint aber: "Als ich jung war, war ich sehr unglücklich darüber, dass ich keinen Mann kannte, mit dem ich eine Familie gründen konnte. Für mich gilt und galt die Voraussetzung, dass mein Kind mit Vater und Mutter aufwachsen soll. Alleinerziehend wollte ich nie sein, Kinder haben Anspruch auf beide Elternteile. Ich selbst stamme aus einer Großfamilie, habe sechs Geschwister und 20 Nichten und Neffen. So kann ich einen Teil meiner mütterlichen Gefühle innerhalb der eigenen Familie ausleben. Bei mir war Kinderlosigkeit nicht freiwillig, daher verstehe ich Frauen nicht, die nur wegen der eigenen Bequemlichkeit oder wegen der nicht unerheblichen Kosten kein Kind haben wollen." Auch zum Thema der künstlichen Befruchtung bezieht A. S. einen festen Standpunkt: "Ein Kind sollte immer wissen, woher es kommt. Nicht zu wissen, wer der eigene Vater ist, das halte ich für sehr problematisch."
Prof. Lotte Tobisch-Labotyn, langjährige Opernballleiterin, Schauspielerin und schon als junge Frau konsequent emanzipiert, wollte bereits im Alter von 17 Jahren unabhängig sein und brach mit sämtlichen Konventionen. Nicht zur Freude der Eltern nahm sie Schauspielunterricht bei Raoul Aslan und fand ihre große Liebe in einem um fast vier Jahrzehnte älteren Mann, damals Vizedirektor und Chefdramaturg am Burgtheater. Die Verbindung hielt bis zu seinem Tod im Jahr 1960.
Lotte Tobisch-Labotyn hat als Kind die Scheidung der Eltern erlebt und weiß, dass jede Scheidung "an den Kindern ausgeht". Der große Altersunterschied zu dem von ihr heiß geliebten Mann hielt sie davon ab, Kinder in die Welt zu setzen, denn sie weiß, was es heißt, nur bei einem Elternteil aufzuwachsen. "Als meine große Liebe starb, war ich 34 Jahre alt. Der Traum von Kindern war damit für mich vorbei. Man muss auch bedenken, dass die gesellschaftlichen Umstände vor 50 Jahren für Frauen ganz anders waren als heute. Eine alleinerziehende Mutter hat heute viele Möglichkeiten der Unterstützung und ist gesellschaftlich akzeptiert. Ich hätte mich ganz bestimmt über gängige Konventionen hinweggesetzt, aber die Umstände waren einfach gegen mich. Wenn ich heute sagen kann, dass ich in Freiheit von familiären Verpflichtungen lebe, habe ich dafür auch den Preis der Kinderlosigkeit gezahlt. Jeder Gewinn im Leben muss bezahlt werden. Ich habe keine Nachkommen, aber viele Wahlverwandtschaften, bei denen ich mich aufgehoben fühle. Viele unterschiedliche Aktivitäten und Interessen lassen mich auch mit 82 Jahren sehr intensiv am Leben teilhaben."
Sinkende Geburtenraten - wer ist schuld? Die Diskussion um kinderlose Frauen gewinnt heute in Deutschland und Österreich immer mehr an Brisanz. In Österreich bekam 1960 jede Frau statistisch gesehen 2,7 Kinder. Heute sind es nur noch 1,4. Die "Hauptschuld" für die sinkende Geburtenrate wird in aktuellen Diskussionen vor allem kinderlosen Frauen zugeschoben. In Österreich sind das 14,6 Prozent der über 40-jährigen Frauen. Warum entscheiden sich Frauen ganz bewusst gegen Kinder? In jungen Jahren malen sich fast alle Frauen ihre Zukunft so aus: Mann, Kinder, heile Familienwelt. Die Realität sieht leider anders aus. Beziehungen sind heute brüchiger geworden, viele Frauen finden den Traummann nicht, bevor die "biologische Uhr" abgelaufen ist. Die Ausbildung dauert länger, man will sich zuerst eine Existenz sichern, Karriere machen, etwas von der Welt sehen. Viel Zeit für Familienplanung bleibt dann nicht mehr.
Während Politiker in Österreich hoffen, junge Paare durch finanzielle Unterstützung und flächendeckende Kinderbetreuung zum Kinderkriegen zu animieren, diskutiert man in Deutschland bereits offen darüber, den Kinderlosen die Pensionen zu kürzen.
Männliche Kinderlosigkeit. Auch Diskussionen über "männliche Kinderlosigkeit" bleiben heute nicht aus. Männer schieben ihre Vaterschaft weiter hinaus als Frauen die Mutterschaft. Laut "Eurobarometer-Studie" sind in Österreich etwa 67 Prozent der Männer zwischen 18 und 34 Jahren kinderlos, aber nur 56,5 Prozent der Frauen. Noch deutlicher ist der Unterschied bei den 35- bis 49-Jährigen. In dieser Altersklasse haben 28,3 Prozent der Männer keine Kinder gegenüber 15,9 Prozent der Frauen. Bei Männern spielt dabei - mehr als bei Frauen - die Karriereplanung eine wichtige Rolle.
Viele Männer schieben den Kinderwunsch heute auch deshalb auf, weil sie keine "Nebenbeiväter" sein wollen. Auch die Geburt des jeweils nächsten Kindes wird von Männern eher hinausgeschoben als von Frauen. Männer führen als Argument dafür ökonomische Gründe an, wie zum Beispiel zu geringen Wohnraum.
Es gibt auch eine Vielzahl von Männern, bei denen der Wunsch nach ehrlichen 50:50 wächst: Beide verdienen (und machen Karriere), gehen gleich lange (Teilzeit) arbeiten, verdienen gleich viel und haben gleich viel Zeit für ihre Kinder. Die Realität sieht jedoch anders aus: Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer, Teilzeitarbeit wird schlechter bezahlt und bedeutet meist einen Karriereknick.
Aufschieben der Kinderlosigkeit. Ein weiterer Grund für das Aufschieben des Kinderwunsches ist laut Soziologen die Vorbildwirkung der älteren Generation. Auch bei ihr ist die Zahl der Kinder bereits deutlich zurückgegangen. Junge Männer von heute sind bereits großteils in kleinen Familien mit zwei oder weniger Kindern aufgewachsen.
Es zeigt sich heute ein deutlicher Trend zum Kind in einem Alter, in dem man vor 50 Jahren bestenfalls als dynamische Großmutter durchging. Die Geburtenrate im Alter der 40- bis 44-Jährigen hat sich seit 1998 von 1200 auf 2150 fast verdoppelt. Statistik Austria hat erhoben, dass bis 2030 die erste Mutterschaft auf einen Durchschnittsalterswert von 31 Jahren steigen wird. Bei allen Prognosen und Überlegungen sollte eines jedoch nicht übersehen werden: Ein Kind ist immer ein Geschenk, dessen Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.