+++ Volksschulen in Wien klagen über zu wenig Fördermittel. | Für 43 Prozent der Schüler ist Deutsch nicht Muttersprache | . | Wien. Im letzten Schuljahr hatten 43,4 Prozent aller Wiener Volksschüler nicht Deutsch als Muttersprache. Wie gut können sie dem Unterricht folgen? "Die Palette ist breit", sagt Gerlinde Holzinger, Direktorin der Volksschule Rötzergasse 2-4 (17. Bezirk) mit 90 Prozent fremdsprachigen Schülern. "Manche Kinder sind in Wien zweisprachig aufgewachsen und haben eine gute vorschulische Bildung. Bei denen läuft alles normal. Dann gibt es Seiteneinsteiger aus Tschetschenien oder China. Am schwierigsten sind jene Kinder, die ihre Erstsprache nicht beherrschen."
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Wien. Im letzten Schuljahr hatten 43,4 Prozent aller Wiener Volksschüler nicht Deutsch als Muttersprache. Wie gut können sie dem Unterricht folgen? "Die Palette ist breit", sagt Gerlinde Holzinger, Direktorin der Volksschule Rötzergasse 2-4 (17. Bezirk) mit 90 Prozent fremdsprachigen Schülern. "Manche Kinder sind in Wien zweisprachig aufgewachsen und haben eine gute vorschulische Bildung. Bei denen läuft alles normal. Dann gibt es Seiteneinsteiger aus Tschetschenien oder China. Am schwierigsten sind jene Kinder, die ihre Erstsprache nicht beherrschen."
Es sei nicht leicht, die unterschiedlichen Niveaus im Unterricht zu berücksichtigen "Die Lehrer machen täglich einen riesigen Spagat. Sie sind Spezialisten beim Differenzieren, damit jedes Kind dort abgeholt wird, wo es steht, und optimale Lernzuwächse hat."
Eine wichtige Fördermaßnahme ist Muttersprachenunterricht. "Es gibt Kinder, die in Wien aufwachsen und eine Mischmasch-Sprache´ aus Türkisch oder Serbisch und Deutsch sprechen. Wer die Muttersprache nicht kann, lernt auch keine Zweitsprache."
Für den Muttersprachenunterricht nimmt man in der Rötzergasse die Schüler aus zwei Parallelklassen heraus. Der Rest wird nochmals in zwei Gruppen aufgeteilt. "Das bewährt sich gut, weil wir auch die deutschsprachigen Kinder gezielt fördern müssen." Weiters gibt es sechs bis acht Stunden wöchentlich Unterricht mit Teamlehrer. Spezielle Einheiten gibt es für Quereinsteiger.
Meist stabile Familienverhältnisse
Schulpflichtige Kinder, die dem Unterricht nicht folgen können, werden in Österreich maximal zwei Jahre als außerordentliche Schüler geführt. Danach werden sie genauso benotet wie jeder andere Schüler. Laut Gerlinde Holzinger schafft der Großteil der Kinder, etwa 80 Prozent, die Umstellung auf den gewöhnlichen Unterricht. "Ein gewisses Sprachdefizit bleibt öfters bestehen, weshalb auch ordentliche Schüler Förderungen bekommen." Den Aufstieg in die AHS schafft nur ein Fünftel. Meist kommen die Schüler aus stabilen Familienverhältnissen und sind nicht verhaltensauffällig. "Ich war vorher an Schulen mit mehr österreichischen Kindern", berichtet Holzinger, "dort waren die Familienstrukturen oft nicht intakt und die Kinder viel schwieriger." Gut funktioniere die Klassengemeinschaft. "Es ist einem Kind vollkommen egal, woher jemand kommt". Auch mit Religion gibt es selten Probleme: "Einmal gab es ein islamisches Mädchen, dem verboten wurde mit Buben zu reden."
Was Holzinger fehlt, ist verpflichtende Bildung im Vorschulalter: "Entscheidend ist, wie gut in den ersten sechs Jahren gefördert wird. Je früher ein Kind eine zweite Sprache lernt, desto besser." Am meisten klagt sie über den Rückgang an Förderressourcen. "Im Jahr 2002 hätte ich bei gleicher Schülerzahl und gleichem Schnitt an Kindern nichtdeutscher Muttersprache zwei Lehrerposten mehr gehabt. Optimal wären zwei Stunden Teamunterricht täglich".
In dieselbe Kerbe schlägt Werner Mayer, Direktor der Volksschule Ortnergasse 4 im 15. Bezirk. 82 Prozent der Schüler sind hier fremdsprachig. "Es wurden die Stunden reduziert. Zur Zeit haben wir fünf bis sieben Stunden Teamunterricht. Um gezielt zu fördern bräuchten wir doppelt so viel. Die Lehrer versuchen den Teamlehrer zu kompensieren, was sich im Alltag in einer andauernden Überforderung niederschlägt."
Wertschätzung der Muttersprache hilft
Der beste Weg, den Unterricht mit dem Niveau der Kinder abzustimmen, sei, so Mayer, das Gespräch: "Differenzierter Unterricht bedeutet, dass sich der Lehrer Zeit nimmt und mit jedem Kind spricht. Das wird geschätzt und hat sich bereits herumgesprochen. Wir haben Kinder, die durch halb Wien zu uns kommen." Im Gegensatz zur Rötzergasse findet der Muttersprachenunterricht nicht separat statt. "Die Wertschätzung der Muttersprache stärkt das Selbstwertgefühl. Wenn man ein Kind auf Kroatisch anredet, fühlt es sich total anerkannt." 50 Prozent schaffen hier den Aufstieg in die AHS. "In den ersten beiden Schulstufen sind fast alle Kinder außerordentliche Schüler, in den dritten und vierten Schulstufen fast niemand. Ich erinnere mich an fünf Kinder, die noch als ordentliche Schüler große Probleme hatten. Solche Kinder sind meist kriegstraumatisiert."