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Knackpunkt ist die Stellung der Berufungskommission. | Gemurks um die Weisungsfreiheit. | Wien. Ein gemeinnütziger Verein zur Förderung von benachteiligten Menschen muss sparen. Er will die Arbeitszeit von 40 auf 38,5 Wochenstunden reduzieren, was zu Lohneinbußen führen würde. Angesichts der wirtschaftlichen Lage stimmen jedoch alle Mitarbeiter mit einer Ausnahme der Lohnkürzung zu. Bei diesem Dienstnehmer handelt es sich um einen "begünstigten Behinderten", dessen Kündigung grundsätzlich nur nach vorheriger Zustimmung des Bundessozialamtes zulässig ist.
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Der Verein beantragt also beim Bundessozialamt (BSA) die Zustimmung zum Ausspruch einer Änderungskündigung. Eine solche Kündigung gibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, in die vorgeschlagene Vertragsänderung einzuwilligen und damit die Kündigung zu beseitigen.
Das BSA gab dem Antrag statt, die vom Dienstnehmer dagegen erhobene Berufung blieb zunächst erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hob jedoch in der Folge diese Entscheidung wieder auf. Nach einer neuerlichen Bestätigung durch die Berufungsbehörde liegt der Ball derzeit wieder beim VwGH.
Unabhängiges Tribunal
Dieser hat nun im Verfahren die "vorläufige Rechtsansicht" geäußert, dass die Berufungskommission den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht. Art 6 EMRK verlangt nämlich, dass über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ein "Tribunal" entscheidet. Sämtliche Mitglieder eines solchen Tribunals müssen unabhängig und unparteilich sein.
In Österreich entsprechen neben den Gerichten unter bestimmten Voraussetzungen auch die sogenannten Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag den Vorgaben des Art 6 EMRK. Diese Behörden entscheiden in oberster Instanz, ihnen gehört mindestens ein Richter an, ihre Bescheide können im Verwaltungsweg nicht aufgehoben werden. Auch die Berufungskommission wurde 1992 als eine solche weisungsfreie Verwaltungsbehörde eingerichtet. Seither entscheidet sie als Rechtsmittelinstanz über die Zulässigkeit der Kündigung begünstigter Behinderter.
Bis Ende 2007 waren sämtliche Mitglieder einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag unmittelbar durch das Bundes-Verfassungsgesetz weisungsfrei gestellt. Damit war eine wesentliche Voraussetzung der Menschenrechtskonvention erfüllt.
Durch eine Novelle Anfang 2008 wurde jedoch der entsprechende Passus geändert: Nun hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, die Mitglieder von Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag weisungsfrei zu stellen. Da dies im Hinblick auf die Berufungskommission bisher nicht erfolgt ist, scheidet für den VwGH die Weisungsfreiheit der nichtrichterlichen Behördenmitglieder offenbar aus. Damit wäre Artikel 6 der EMRK verletzt.
Der VfGH erkannte bereits 1991 zur damals geltenden Rechtslage, dass die Berufungsbehörde im Kündigungsschutzverfahren diesem Artikel widerspricht. Allerdings ging es damals um den Landeshauptmann, der ohne Zweifel kein Tribunal in diesem Sinne darstellt. Als Folge dieser Entscheidung wurde das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) geändert und die Berufungskommission als Behörde zweiter Instanz vorgesehen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass der VfGH damals den Passus im Gesetz aufhob, wonach der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung einholen muss. Damit wäre der besondere Kündigungsschutz für Behinderte beseitigt worden, hätte nicht der Gesetzgeber die Rechtslage rechtzeitig saniert. Der VfGH hatte nämlich für das Außerkrafttreten der verfassungswidrigen Bestimmung eine Frist von rund sechs Monaten vorgesehen.
Für den Anlassfall galt dies freilich nicht, sodass hier der besondere Kündigungsschutz nach dem BEinstG tatsächlich ersatzlos wegfiel. Sollte daher der VfGH den entsprechenden Passus aufheben, so könnte der gemeinnützige Verein die angestrebte Änderungskündigung endlich rechtswirksam aussprechen. Eine neuerliche Zustimmung des Bundessozialamtes wäre nicht erforderlich.
Anfechtung möglich
Auch für andere Arbeitgeber ist dies interessant. Nach der Judikatur werden nämlich jene Fälle dem Anlassfall gleichgestellt, die zum Zeitpunkt des Beginns der Beratung beziehungsweise einer mündlichen Verhandlung beim VfGH anhängig waren.
Wenn also ein Arbeitgeber im Verfahren vor der Berufungskommission in den nächsten Wochen unterliegt, könnte er die Entscheidung wegen Verletzung des Art 6 EMRK beim VfGH anfechten. Mit Glück ist sein Verfahren entweder selbst Anlassfall für die Aufhebung, oder es wird diesem gleichgestellt.
Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, dass es nicht so weit kommen wird. Im Parlament wurde nämlich knapp vor der Sommerpause eine Novelle zum BEinstG beschlossen, die per September 2010 in Kraft treten soll. Damit wird die Weisungsfreiheit der Mitglieder der Berufungskommission im Gesetz ausdrücklich verankert. Demnach dient dies bloß der "Klarstellung", dass die Weisungsfreistellung "weiterhin" aufrecht sei.
Es ist anzunehmen, dass der Verfassungsgesetzgeber die Weisungsfreiheit bestehender Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag nicht (rückwirkend) beseitigen wollte. Im Sinne der Rechtssicherheit wäre es jedoch, wenn dies auch durch die Höchstgerichte festgestellt würde.
Andreas Tinhofer ist Partner der Arbeitsrechtskanzlei Mosati Rechtsanwälte.