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Kirche im Schlackenhügel

Von Bernhard Widder

Reflexionen

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Die Fassade der neugebauten Kirche, von Süden gesehen.
© © Widder

Der gesamte südliche Bereich der Stadt Linz hat eine enorme Ausdehnung, deren Größe mit der Gründung der Schwerindustrie im Jahr 1938 in Verbindung steht. Fast alle Stadtteile im Bereich der Wiener Straße und der Salzburger Straße sind vor mehr als siebzig Jahren gegründet worden. In der Nachkriegszeit wurden sie mit modernem Städtebau sukzessive weiterentwickelt; aus dem Stahlwerk wurde die österreichische Vöest, die in besten Zeiten bis zu 40.000 Arbeiter beschäftigte.

Ab 1955 entstanden in den peripheren Stadtvierteln neu gegründete Pfarrzentren und Kirchenbauten. Das erste Bauwerk dieser Art war die ovale Kirche St. Michael am Bindermichl, deren monumentaler Eingangsturm aus einer stählernen Konstruktion besteht. Die Verwendung von Stahl enthielt den symbolischen Hinweis auf die Bedeutung der heutigen "voestalpine" für den gesamten Stadtteil. Bis zum Ende der 1970er Jahre war die Errichtung der neuen Kirchenanlagen im Wesentlichen abgeschlossen.

Im Bereich des Industriegeländes im Süden von Linz, neben den ausgedehnten Gleisanlagen der Westbahn und der Industriezubringer, entstand 1969 an der Wahringerstraße ein Neubau aus Stahlfertigteilen, der als "christliche betriebsgemeinde voest" jahrzehntelang in Verwendung war.

Ambitionierter Neubau

Im Jahr 2003 dachte die Betriebsgemeinde daran, den in die Jahre gekommenen Fertigteilbau zu sanieren und mit einer Wärmedämmung zu versehen. 2005 entschied man sich für einen Neubau, der in zwei Anläufen zu einem auffallend interessanten baulichen Ergebnis führte, das 2011 eingeweiht und eröffnet wurde.

Die Publikation, die das neue Seelsorgezentrum mit dem Untertitel "Jede Arbeiterin und jeder Arbeiter ist mehr wert als alles Gold der Erde" veröffentlichte, beschreibt die komplizierte Suche nach einem geeigneten Entwurf. Der zweite Wettbewerb fand 2008 statt, es wurden drei Büros eingeladen. Den Auftrag erhielt das Büro der jüngeren "x architekten" aus Linz. Im Oktober 2009 war Baubeginn, im Februar 2011 fand die Einweihung der neuen Anlage statt. Das klingt nach guter Planung und Zusammenarbeit zwischen den ausführenden Firmen, den Architekten und dem die künstlerische Gestaltung betreuenden Künstler Gerhard Brandl.

Das Ungewöhnliche an diesem neuen Zentrum ist der Umstand, dass es so gut wie unsichtbar ist, eingegraben in einen Hügel, der vor fünfzig Jahren aus Schlackesteinen aufgeschüttet worden ist. Der radikale Ansatz ist bemerkenswert, enthält symbolische Anspielungen auf seinen Standort wie auch funktionale und räumliche Aspekte.

Bedeutsame Umgebung

Übrigens befindet sich in einigen Kilometern Entfernung ein weiterer Kirchenbau, das Zentrum "Marcel Callo", das 1998 in einem renovierten Fabriksgebäude des frühen 20. Jahrhunderts eingefügt wurde. Damit sind diese beiden Anlagen die interessantesten Kirchenanlagen, die im Raum Linz in den vergangenen dreißig Jahren entstanden sind.

Die Umgebung des neuen Zen-trums stellt eine besondere Herausforderung dar: in westlicher Richtung donnern die Züge vorbei, in der Nachbarschaft des Ortes reihen sich industrielle Hallen verschiedener Firmen entlang einer Hauptstraße nach Norden und Süden. In direkter Nachbarschaft steht ein hoher Ziegelbau, der auch den niedrigen Vorgängerbau räumlich bedrängt hatte.

So hatte die Entscheidung der Architekten, das neue Bauwerk in den Untergrund einzubauen, bzw. diesen Untergrund aus Schlackematerial auszuhöhlen, einige gute Aspekte: Der Entwurf ging von der Schaffung einer "Oase" aus, einem Ort der Ruhe, der Begegnung und der Geborgenheit. Es sollte "ein Platz für alle" werden. Es ging auch darum, sich gegen den Lärm von Bahndämmen abzugrenzen. Der Schlackenhügel wurde in den Bereichen der neuen Achsen und der Innenräume bis auf viereinhalb Meter abgegraben.

Diese Bauweise enthält schwere, massive Symbolik: Die Assoziationen führen nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt des Stahlwerks, sondern leiten zum Bergbau, zum Aushöhlen und Ausbrechen von Gestein, oder zum Tagbau. Von Norden betrachtet führt eine gerade Achse mit leichter Neigung nach Süden. Die dadurch entstehenden Böschungen des Hügels enthalten nur Schlackesteine. An der linken Seite entwickelt sich die Fassade des Bauwerks, die mit Platten aus Schlackesteinen verkleidet ist. Der Weg entlang dieser Materialien und Neigungen erinnert an eine industrielle Halde, an Werke der "Land Art", aber auch an die rostroten Stahlskulpturen Richard Serras, die meist aus rechteckigen Platten bestehen.

Im rechten Winkel dazu führt eine Treppe die westliche Böschung abwärts und weist auf den verglasten Eingang des Bauwerks. Im Lageplan ergibt sich durch diese beiden Achsen ein einfaches Kreuz, was die Wege zu diesem Ort anbelangt.

Eine Ansicht zeigt die einzige Fassade, die an diesem Bauwerk in ganzer Höhe sichtbar ist, in einem Blick von Süden. Die Freifläche vor den großflächigen Fenstern der Kapelle und der Gemeinschaftsräume führt zu einigen Terrassen, die als südlichen Abschluss das Gelände überwinden. Dann schließt eine Gruppe von Nadelbäumen das Ensemble ab.

Ein eigenes Pathos

Als Außenraum oder als eine Abfolge von Wegen und Vertiefungen neben den schrägen Schlackewänden wirkt diese Anlage sehr gelungen, als die Umsetzung von künstlerisch weit ausholenden Ideen. Die Eingrabung oder Ausgrabung in eine industrielle Halde, die Verwendung der Tafeln mit Schlackesteinen als dunkles Fassadenmaterial, rostiger Stahl bei den Begrenzungen der südlichen Terrassen: diese Formen und Materialien enthalten einen tieferen symbolischen Sinn und verleihen dem Ort damit auch ein eigenes Pathos.

Vor der Südfassade die Schlackewände betrachtend, fühlte ich mich an die frühen Bauten von Daniel Libeskind, etwa an die Museen in Berlin und Osnabrück, erinnert. Der Eindruck drängt sich auf, dass der Linzer "Treffpunkt mensch & arbeit" in einer Beziehung zu Libeskinds Werken und deren Symbolismus steht.

Der Innenhof mit Glocke wurde von Gerhard Brandl gestaltet.
© © Widder

Die Problematik dieser Anlage zeigt sich jedoch an der Gestaltung der Innenräume. Das gelungene Kernstück daran ist wiederum eine Aushöhlung: ein kleiner Innenhof, der zur Gänze mit quadratischen Platten aus "Streckmetall" verkleidet ist. Die optische Wirkung dieser Stahlplatten ist auffallend, da jede Platte in einem anderen stählernen Grausilber gehalten ist.

Möglicherweise entsteht dieser Eindruck nur durch Verdrehung der Platten gegeneinander, und den dadurch verschiedenen Lichteinfall auf das perforierte Metall. Das sieht verblüffend aus, man fragt nach den Gründen der unterschiedlichen Farbwerte. Aber das könnte auch bereits ein Zuviel an Fassadenwirkung für den kleineren Innenhof beinhalten, sich bei längeren Aufenthalten als penetrant erweisen.

In einem Bereich des Hofs steht eine große rostige Glocke, für die der Künstler Gerhard Brandl eine besondere Konstruktion gefunden hat: diese Glocke enthält nämlich eine zweite, kleinere Glocke. Sie steht auf einem stählernen runden Schacht, der nach unten als Resonanzraum dient. Die Glocken stammen aus der Gemeinde Kollerschlag im nordwestlichen Mühlviertel und wurden dem neuen Zentrum gestiftet.

Aber was bedeutet der Kapellenraum dieses Seelsorgezen-trums? Das Verständnis ist schwierig oder gar unmöglich. Der Innenraum, der in drei unterschiedlich große Bereiche geteilt werden kann, oder als ein einziger Raum für die größere Gemeinde funktioniert, hat gestaltete Wände, die in dreieckige Formen aufgelöst sind. Aber was ist dabei Raum, was bedeuten die weißen Holzbretter auf schwarzem Grund, die penetranten Verspiegelungen?

Die seltsame, erste Assoziation, die sich beim Betreten einstellt, ist die von Spinnennetzen. Hatte der Architekt David Birgmann etwa eine Nähe zur Comicfigur "Spiderman" im Sinne, fragte ich mich unwillkürlich.

Disko-Stimmung

Es könnte sein, dass hier das Thema einer "Höhle" gestalterisch und räumlich betont werden soll. Damit gelangen wir wieder zum Bergbau. Aber weiße Holzschalungen und unregelmäßige Spiegelflächen erzeugen einen ganz anderen Raumeindruck - den einer Diskothek.

Noch seltsamer als diese Bereiche ist die Gestaltung der WC-Gruppen: diese Innenräume sind in kräftigen Farben gemalt: dunkelrosa für Damen, mittelblau für Herren. Was soll diese übertriebene Wichtigkeit ausdrücken?

Im neuen Treffpunkt liegen Postkarten auf, die verschiedene Ansichten der Anlage zeigen. Eine davon zeigt den seltsamen Innenraum des Bereichs der Kapelle. Auffallend daran ist das Zitat, das sich auf der Karte befindet: "Eine gerechte Gesellschaft, der wir zustimmen können, ist eine solche, wo alle Menschen leben können!" (Subcomandante Marcos).

Dieser Aussage kann man nur zustimmen. Bei den Innenräumen und ihren allzu disparaten Ideen fällt einem das schon viel schwerer.

Bernhard Widder, geboren 1955, lebt als Schriftsteller, Essayist, Übersetzer und Architekt in Wien.