Zum Hauptinhalt springen

Kirgistan probt die Demokratie

Von Gerhard Lechner

Politik
Präsidentin Otunbajewa erntet vorerst noch skeptische Blicke für ihre Pläne. Foto: ap

OSZE: Referendum "bemerkenswert friedlich" vollzogen. | Gefahr eines Dauer-Machtkampfes einzelner Clans. | Bischkek/Wien. Die Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken, die Kirgistan noch vor kurzem erschüttert hatten, konnten die Übergangsregierung in Bischkek nicht von ihrem Kurs abbringen: Möglichst rasch, trotz der gespannten Lage im Land, soll an den Hängen des Pamir eine parlamentarische Demokratie errichtet werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

90,7 Prozent der Bürger des krisengeschüttelten Staates haben dafür votiert, teilte die nationale Wahlkommission am Montag mit. Das Referendum sei "bemerkenswert friedlich" abgelaufen, sagte Boris Frlec, Chef der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Menschen hätten für eine "friedliche und demokratische Zukunft" gestimmt. Es sei nun nötig, die vielen Mängel bei der Abstimmung - so dürften etwa manche ihre Stimme mehrfach abgegeben haben - für die demnächst geplante Parlamentswahl zu beseitigen.

Damit würde sich Kirgistan als erstes zentralasiatisches Land von dem dominierenden Modell einer Präsidialrepublik mit starkem Staatschef verabschieden. Ob dem Plan von Interimspräsidentin Rosa Otunbajewa, in Kirgistan ein parlamentarisches System nach deutschem Muster zu etablieren, Erfolg beschieden sein wird, ist freilich fraglich. Stellvertretend für viele Staatschefs der Region äußerte etwa Russlands Präsident Dmitri Medwedew die Sorge, dass in einem schwachen Staat wie dem kirgisischen, der kaum in der Lage sei, im Land für Ordnung zu sorgen, durch das parlamentarische Wechselspiel "extremistische Kräfte" an die Macht kommen könnten.

Kirgistan hatte bereits unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Kurs auf ein parlamentarisches System genommen, ehe der damalige Staatschef Askar Akajew Mitte der 90er Jahre die Macht wieder stärker beim Präsidenten konzentrierte. Kurmanbek Bakijew, der 2005 Akajew in der sogenannten "Tulpenrevolution" - mit Unterstützung des Westens - stürzte, trieb dann als Präsident Vetternwirtschaft und Klientelsystem auf die Spitze. Im April musste er selbst außer Landes fliehen. Seitdem kommt das zentralasiatische Land nicht mehr zur Ruhe.

Regionale Loyalitäten

Kenner der Region haben nur wenig Hoffnung, dass eine Parlamentsdemokratie der Korruption und Instabilität ein Ende machen könnte. "Das kirgisische Parteiensystem ist durch regionale Loyalitäten bestimmt, die allenfalls ideologisch bemäntelt werden", sagt der Zentralasien-Experte Paul Geiss der "Wiener Zeitung": "Es gibt kaum Parteien, die landesweit agieren, ein parlamentarisches System würde also nur zu einem Dauer-Machtkampf einzelner Gruppen führen", so der Wiener Politologe. Diese Gruppen hätten nur eine geringe Bindung an den Staat. "Es braucht daher einen starken Präsidenten, denn nur er ist in der Lage, dieses Klientelsystem in Schach zu halten und so etwas wie eine planvolle Wirtschaftspolitik anzuleiten", schlussfolgert Geiss.

Manche Beobachter zweifeln auch an dem Willen der kirgisischen Führung, den Usbeken die Hand zu reichen: Die Volksgruppe, die etwa 15 Prozent der 5,5 Millionen Einwohner ausmacht, wird keine stärkere politische Rolle erhalten. Auch die Frage, wie das Referendum im Süden des Landes abgelaufen ist, muss wenigstens teilweise offen bleiben: Wegen Sicherheitsbedenken hatte die OSZE in die Brennpunkte der Unruhen, nach Osch und Dschalal-Abad, keine Wahlbeobachter entsandt.