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Klage von Stalin-Enkel abgewiesen

Von Gerhard Lechner

Politik

"Nowaja Gazeta" gewann Prozess. | Stalin für manche Identifikationsfigur. | Moskau. In einem Film hat ihn Jewgeni Dschugaschwili schon einmal verkörpert. Der 73-Jährige sieht Sowjet-Diktator Josef Stalin nicht unähnlich - der gleiche Schnurrbart, dieselbe Frisur. Was nicht verwundert: Der Georgier, der in Tiflis lebt, ist Stalins Enkel.


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Als solcher sah er die Ehre seines Großvaters in Gefahr: Die russische Zeitung "Nowaja Gazeta" hatte Stalin im April als "blutrünstigen Kannibalen" bezeichnet und geschrieben, der Diktator habe tausende Menschen in den Tod geschickt. Dschugaschwili ("unter Stalin ist das Leben lustiger gewesen") klagte und forderte von der Zeitung umgerechnet 230.000 Euro Schadenersatz. So sollte etwa die Formulierung "Stalin und die Tschekisten (Geheimdienstler) sind durch großes Blutvergießen miteinander verbunden" nach dem Willen des Enkels verboten werden. Auch dass der Journalist Anatoli Jablokow schrieb, Stalin habe Hinrichtungsbefehle selbst unterzeichnet, störte den Enkel des Diktators. Am Dienstag wurde die Klage von einem Gericht in Moskau abgewiesen. Bei den Anwesenden im Gerichtssaal löste das Urteil unterschiedliche Reaktionen aus: Ein Teil applaudierte, andere brüllten "Schande".

Stalin erlebt in den russischsprachigen Ländern seit einigen Jahren eine Renaissance als Identifikationsfigur für Anhänger eines starken Staates. In Weißrusslands Hauptstadt Minsk etwa lassen die dortigen Kommunisten für ein Stalin-Denkmal zu Ehren seines 130. Geburtstags im Dezember sammeln. In einer Internet-Abstimmung über die "bedeutendsten Persönlichkeiten Russlands" kam der Diktator im Vorjahr auf Rang drei. Die Verwerfungen, die Russland seit 1991 hinnehmen musste, lassen für manche die Zeit des "Großen Vaterländischen Krieges" rückblickend als ruhmreich erscheinen: Der stets gefeierte "große Sieg" wirft Glanz auch auf den Sieger, der in manche Geschichtsbücher als "effektiver Manager" Eingang findet. Andererseits: Der "Archipel Gulag" von Alexander Solschenizyn über den Terror der Stalinzeit gehört in den Schulen doch zum Pflichtprogramm.