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Klarnamenpflicht versus Anonymität im Internet

Von Barbara Wiesner

Gastkommentare
Barbara Wiesner war von 1992 bis 2006 Professorin für Informatik an der Technischen Hochschule Brandenburg. Zu ihren Spezialgebieten gehörten Sicherheit, Kryptographie und Privacy. Inzwischen ist sie im Ruhestand und lebt in Wien.

Der Kampf gegen Hass im Netz stellt uns als Gesellschaft vor ein Dilemma.


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Im Frühjahr 2018 erhielt die frühere grüne Nationalratsabgeordnete Sigi Maurer auf Facebook vom offiziellen Facebook-Account eines Wiener Craftbier-Lokals obszöne Nachrichten. Diese veröffentlichte sie samt dem Namen des Lokalbesitzers und der Geschäftsadresse auf Twitter, was ihr eine Anklage und nachfolgend eine Verurteilung wegen übler Nachrede einbrachte. Der Gastwirt behauptete, ein Gast habe die Nachrichten über seinen Account versendet. Maurer wurde verurteilt, da sie nicht beweisen konnte, dass der Ladenbesitzer tatsächlich der Urheber der Nachrichten war, obwohl die Nachricht vom offiziellen Account seines Lokals stammte.

Diesen Vorfall wollte die Bundesregierung unter anderem zum Anlass nehmen, eine Klarnamenpflicht für Online-Plattformen einzuführen. Klarnamenpflicht bedeutet, dass bei Einträgen im Netz der echte Name des Verfassers angegeben werden muss. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob das eine geeignete Vorgehensweise ist, um Hass im Netz einzuschränken beziehungsweise gegebenenfalls verfolgen zu können. Tatsache ist jedenfalls, dass die Einführung einer Klarnamenpflicht Maurer nicht weitergeholfen hätte, da besagter Account und dessen Inhaber ja bekannt waren.

Auf Facebook nahm sie dazu Stellung: "Der Regierung geht es ganz offensichtlich nicht darum, Betroffenen zu helfen. Sie missbraucht meinen und andere Fälle, um ihre eigene Agenda zur Beschränkung von Freiheit im Netz voranzutreiben."

Inzwischen wurde die Klarnamenpflicht wieder fallen gelassen und angekündigt, dass Plattformen verpflichtet werden sollen, bei Rechtsverletzungen Nutzerdaten herauszugeben. Das ist insofern nichts Neues, als Plattformen bereits heute bei Rechtsverletzungen zur Herausgabe von gespeicherten personenbezogenen Daten wie IP-Adressen verpflichtet sind.

Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Varianten ist, dass die Klarnamenpflicht alle Bürger betrifft - es stehen somit alle unter Generalverdacht -, während die zweite Variante nur bei Rechtsverletzungen zur Anwendung kommt. Letzteres ist dann eine legitime Maßnahme des Staates zum Schutze seiner Bürger.

Wir stehen hier vor dem Dilemma, dass es für Anonymität im Netz viele gute Gründe gibt, dass diese Anonymität aber auch für Rechtsverletzungen missbraucht wird. Das darf aber kein Grund sein, die Anonymität für alle Nutzer aufzuheben.

Ohne auf die vielen Argumente pro und contra Anonymität im Netz einzugehen, möchte ich lediglich einen gravierenden Grund anführen, warum Anonymität im Netz so wichtig ist: Eine lebendige Demokratie braucht den Diskurs ihrer Bürger. Und dazu braucht es einen geschützten Raum. Wenn man befürchten muss, für kritische Äußerungen diskriminiert und an den Pranger gestellt zu werden, ist dieser Diskurs eingeschränkt, und das gefährdet unsere Demokratie. Deshalb brauchen wir den Schutz der Anonymität.

Auch wenn derzeit keine Klarnamenpflicht eingeführt werden soll, sollte man wachsam bleiben, ob nicht doch über einen anderen Weg versucht wird, die Anonymität der Bürger im Netz einzuschränken.