"Knochenarbeit" muss mehr zählen als Privileg der Geburt, so Ex-Premier Major.
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London. (ce) Der Klassenkampf lebt in Großbritannien. Der ehemalige Premier John Major hat ihn wieder entfacht, zumindest hat er mit einer Rede, in der das Thema soziale Mobilität prominent platziert wurde, für Aufsehen gesorgt. Major, Sohn eines früheren Varieté-Künstlers und ehemaliger Hersteller von Gartendekorationen, bemängelt, dass alle wichtigen Ämter im öffentlichen Leben des Königreichs von Privatschulabsolventen der wohlhabenden Mittelklasse bekleidet würden. Es sei "wirklich schockierend", sagte der Konservative laut der Tageszeitung "Daily Telegraph" bei einer Parteiveranstaltung in South Norfolk.
Spitze gegen Cameron
Major empfahl, dass britische Institutionen wieder zu einem System zurückkehrten, in dem "schiere Knochenarbeit" zum Erfolg führe und nicht das Privileg der Geburt. Es müsse mehr getan werden, um die soziale Mobilität zu fördern, fordert der 60-Jährige.
Was sich anhört wie der Aufschrei des sozialen Gewissens eines Konservativen, ist allerdings auch eine wohl platzierte und kaum verheimlichte Spitze gegen den amtierenden Premier. David Cameron musste sich während seiner Amtszeit häufig anhören, dass die Tories eine "Partei der Reichen" seien und dass er sich vor allem mit wohlhabenden Privatschul- und Eliteuniversitätsabsolventen umgebe.
Menschen also mit demselben sozialen Hintergrund wie Cameron und die er aus seiner Ausbildungszeit kannte. "Chumocracy" haben die britischen Medien das auch genannt, auf Deutsch etwa: "Kumpelkratie". Tatsächlich wurden mehrere Mitglieder des Kabinetts, darunter Schatzkanzler George Osborne und der Chef der Liberalen Demokraten, Vizepremier Nick Clegg, auf Privatschulen unterrichtet.
Major macht Wahlkampf
Doch natürlich sind Majors Äußerungen auch als Wahlkampfpropaganda zu verstehen. 2015 finden die Unterhauswahlen statt. Zurzeit bieten die Konservativen nicht immer ein einheitliches Bild, beispielsweise in der Frage, wann das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abgehalten werden soll. Cameron möchte es 2017, einige Tories votieren öffentlichkeitswirksam für 2014.
Und mit dem Stempel "Elitepartei" lässt sich kaum die Mehrheit der britischen Wählerherzen gewinnen. Major sagte, er sei überzeugt, dass die Konservativen die Wahlen gewinnen können, "aber nur, wenn wir zusammenhalten".
Die Biographien Camerons und Majors könnten unterschiedlicher nicht sein: Major arbeitet sich von unten nach oben. Cameron, Sohn eines Börsenmaklers und einer Adelstochter, verbrachte seine Schulzeit im renommierten privaten Eton-College. Später studierte er an der Eliteuniversität Oxford. Dort war er zusammen mit dem Londoner Bürgermeister Boris Johnson Mitglied in der Studentenvereinigung Bullingdon Club.
Linke Eliteabsolventen
Ein Blick nach links zeigt, dass die Konservativen nicht die Einzigen sind, an deren Spitze Absolventen von Eliteuniversitäten sitzen: Labour-Chef Ed Milliband hat in Oxford studiert und schließlich an der ebenfalls renommierten London School of Economics mit einem Master of Science für Wirtschaftswissenschaft abgeschlossen. Millibands Bruder David sitzt ebenfalls als Abgeordneter im britischen Unterhaus, hat ebenfalls in Oxford studiert und seinen Master an der Elite-Universität Massachusetts Institute of Technology gemacht.
Major hingegen verließ mit 16 Jahren die Schule und hat sich Schritt für Schritt nach oben gearbeitet. Vom Bankangestellten in den Verwaltungsrat der Bank, vom Lokalverwaltungsmitglied zum Premierminister. Wenn er wollte, könnte er einen Sitz im Oberhaus einnehmen. Allerdings verzichtet der Ritter des Hosenbandordens bis heute auf die Peerswürde, mit der er ein Anrecht auf einen Sitz im Oberhaus hätte.