Der Tiroler Autor und Blasmusik-Experte Alois Schöpf erklärt, wie man diese Kunstgattung davor retten kann, "reaktionärer Muff" zu sein.
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"Wiener Zeitung": Herr Schöpf, sind Sie wie viele Tiroler als Jugendlicher in einer Blasmusikkapelle sozialisiert worden, oder haben Sie Ihre Leidenschaft für die Blasmusik erst später entdeckt?
Alois Schöpf: Meine Jugend habe ich nicht im Tiroler Tann, sondern in einem Feldkircher Internat unter Schülern aus sieben Nationen verbracht, was vielleicht meinen etwas schrägen Zugang zu den heimischen Traditionen erklärt. Ich lernte im Internat bei den Jesuiten Klarinette, stieg später auf Saxophon um und bin jetzt wieder bei der Klarinette gelandet, die ein wunderbar elegantes und technisch wendiges Instrument ist.
Sie spielten viele Jahre als Klarinettist in der Musikkapelle Ihrer Heimatgemeinde Lans. Dieses Intermezzo endete mit einem Eklat, den Sie später in Ihrem Roman "Heimatzauber" aufgearbeitet haben. Was waren die Ursachen für den Konflikt?
Am grundsätzlichen Konflikt hat sich bis heute nichts geändert. Die Frage lautet: definiert sich ein Musikverein als soziales Projekt, bei dem es darum geht, das Zusammenleben zu fördern und auch die weniger Begabten und Mittelmäßigen mitzunehmen, eine zweifelsfrei edle Sache. Oder geht es darum, Kunst zu machen und durch diese Tätigkeit die Seelenlandschaften menschlicher Empfindungsmöglichkeiten auszuloten. In Tirol läuft alles nur auf soziale Projekte und "feeling good" hinaus. Dementsprechend klingen die Musikkapellen - und dementsprechend provinziell ist die ganze Kultur mit ihren Kampfklatschern, die sich einen feinen Abend machen wollen, egal, was von der Bühne herunterkommt.
Für den "Virtuosen hinter der Schnitzelfritteuse" - ein Zitat aus Ihrem Buch -, den musikalisch unterbegabten oder nachlässigen Vereinsmeier haben Sie also nichts übrig?
Ich bin der Meinung, dass bei einem Musikverein, bei dem viel öffentliches Geld im Spiel ist, die Musik im Vordergrund stehen soll. Beim Blasmusikbetrieb stehen aber zuerst einmal die Arbeitsplätze der Musiklehrer im Vordergrund, dann die Verwahrung der Jugendlichen unter dem Motto "Besser Musik als Drogen", dann das Gemeinschaftsgefühl im Dorf, die Umrahmung von kirchlichen Festen, bei denen niemand mehr weiß, worum es eigentlich geht. Das ist alles schön und gut, hat aber mit Kunst nichts zu tun. Kunst bedeutet Freiheit, Aufbruch, Komplexität, Individualität, Können.
Sie waren dennoch viele Jahre als Kapellmeister tätig. Ihr Resümee dieser Zeit?
Nach 20 Jahren habe ich die Kapellmeisterei gelassen, weil ich keine Lust mehr hatte, als unbezahlter Sozialarbeiter meine Klientel zur Kunst zu überreden. Aber ich war und bin noch immer der Ansicht, dass man unsere alte Tradition der Blasmusik, die ja ursprünglich dazu da war, die Kunstmusik in die kleinsten Dörfer hinaus zu tragen, für die Kultur retten kann. Ich glaube, das ist mir auch eine ganze Weile durch mein Engagement vor allem bei der Stadtmusikkapelle Saggen in Innsbruck gelungen. Auch die Innsbrucker Promenadenkonzerte beweisen durch ihr Programm und 50.000 Zuhörer eindrücklich, dass Blas- und Bläsermusik nicht reaktionärer katholischer Muff sein muss.
Durften Ihre Musikerinnen während eines Konzertes Bier trinken?
Nein. Die Frauen und Mädchen sind da ohnehin viel vernünftiger als die Männer, wobei die Optik einer auf der Bühne aus der Flasche saufenden Frau natürlich noch verheerender ist als bei einem Mann.
Es ist ein Klischee, dass Blasmusikanten saufen, das tun auch die anderen. Allerdings bringt der Musikerberuf gerade im professionellen Bereich Extremstress, und den bekämpft eben der eine mit Alkohol, der andere mit Tabletten und der dritte mit einem Guru.
Mit der Blasmusik - zumindest im Alpenraum - sind auch sonst viele Klischees verbunden: Tracht, Heimatverbundenheit, Rückwärtsgewandtheit, Traditionalismus. Bestehen diese noch immer zu Recht oder hat sich in der Szene vieles geändert?
In der Szene hat sich wie im übrigen Land nur ein bisschen der Anstrich geändert, sonst nichts. Ich habe lange geglaubt, man könne die Tracht in die Moderne retten. Das glaube ich inzwischen nicht mehr. Die Tracht ist ein Bollwerk gegen die Moderne, von der verlogen und ausgiebig profitiert wird. Leider stimmen die meisten Vorurteile, was die Tracht betrifft, sie sind, wenn man einen "Musikantenstadl" oder "Mei liebste Weis" anschaut, sogar noch weit untertrieben.
Wenn man wie Sie ein Musikkenner ist, der auch auf dem Gebiet der Oper und des Jazz firm ist, spielt die Blasmusik dann nicht nur eine Randrolle im persönlichen Musikgeschmack?
Die übliche Amateurblasmusik mit ihren meist schrecklichen Programmen spielt tatsächlich eine untergeordnete Rolle. Aber wenn man Blas- und Bläsermusik einfach als die Freiluftvariante der klassischen Musik betrachtet, dann spielt sie nach wie vor eine große Rolle, zumal die meisten Jazzer ausgezeichnete Blasmusikanten sind.
Wir reden hier hauptsächlich von Amateur-Blaskapellen, denen Sie in Ihrem Buch "Das erfolgreiche Konzert" dringend eine Professionalisierung des Konzert-Managements empfehlen. Besteht der Charme von Gemeinde-Blasmusikkapellen nicht auch in mangelndem Perfektionismus?
Das ist die typische Meinung eines arroganten Städters. Dilettantismus bleibt immer Dilettantismus. Mangelnde Perfektion ist nur für Leute charmant, welche die Landmenschen in ihren Homelands für ewige Hinterwäldler halten. Beim Kunstgenuss falsch klingender Volksmusik spielt mir zu viel Verachtung mit. Eine Dorfmusikkapelle, die einen Marsch spielen kann, wie er gespielt gehört, nämlich knackig, aggressiv und vielleicht auch derb, der fehlt es nicht an Perfektion, sondern sie spielt authentisch. Die Authentizität darf sich nie hinter mangelnder Perfektion verstecken, diese Kräfteverhältnisse sind sehr kompliziert und würden den Umfang dieses Gespräches sprengen.
Gibt es für Sie bei einer Blasmusikkapelle so etwas wie die ideale Zusammensetzung aus Blech- und Holzblasinstrumenten? Den idealen Schöpf-Sound sozusagen?
Der Schöpf-Sound steht unabhängig von mir in allen Lehrbüchern. Die ideale Zusammensetzung der Instrumente ist längst eine ausgemachte und abgehakte Sache. Dass sich die meisten Kapellen nicht daran halten, hängt einfach damit zusammen, dass die entscheidenden Funktionäre zu wenig Lehrbücher lesen. Auch hierbei haben Trachtenträger ihre Schwierigkeiten mit der Aufklärung.
Darf eine österreichische Blasmusikkapelle auch amerikanischen Swing spielen? Und eine bloß durchschnittliche Banda klassische Werke aus der Kunstmusik?
Eine österreichische Blasmusikkapelle darf alles spielen, was sie kann. Bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten spielen nur Orchester, die ihre Werke können, und es sind 350 verschiedene Stücke aus allen Epochen der Musikgeschichte.
Sie haben die Innsbrucker Promenadenkonzerte gegründet und fungieren als deren künstlerischer Leiter. Diese Konzerte finden sowohl bei Einheimischen als auch Touristen großen Anklang. Was ist der Grund für den Erfolg? Die ausgesuchte Qualität?
Ganz genau: Bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten geht es um höchste Qualität bei Musikwerken, Programmen und Orchestern. Wie verstehen uns als wohlklingende Brücke zur Kunstmusik und es ist äußerst sinnstiftend, wenn man erleben darf, dass Kunstmusik in hoher künstlerischer Ausdeutung die Herzen der Menschen erreicht.
Zur Person
Alois Schöpf, geboren 1950 in Lans bei Innsbruck , ist Initiator und künstlerischer Leiter der Innsbrucker Promenadenkonzerte, einer qualitativ hochrangigen internationalen Blasmusik-Konzertreihe im Innenhof der Kaiserlichen Hofburg in Innsbruck.
Der für seine pointierten Glossen bekannte Journalist, Buchautor, Dramatiker und Opernlibrettist war auch Kapellmeister bei Blasmusikensembles. In seinem Buch "Das erfolgreiche Konzert" (Verlag Obermayer, 2011) setzt er sich fundiert mit einem Eventmanagement für Blasmusikkapellen auseinander.
Weitere Publikationen:
"Platzkonzert" (Limbus, 2009), "Glücklich durch Gehen (Limbus, 2012).
Irene Prugger, geboren 1959 in Hall, lebt als Autorin und freie Journalistin in Mils in Tirol und ist ständige Mitarbeiterin des "extra". Zuletzt erschienen: "Südtiroler Almgeschichten" (Löwenzahn).
Innsbrucker Promenadenkonzerte
Von 3. bis 28. Juli 2013 allabendlich 19:30 Uhr im Innenhof der Kaiserlichen Hofburg, Rennweg, am Sonntag Matinee um 10:30 Uhr. Die besten Bläserensembles und Blasorchester aus Österreich und seinen Nachbarländern spielen bei 33 Konzerten 300 verschiedene Werke der klassischen Musik und der österreichischen Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts. Nähere Informationen:
www.promenadenkonzerte.at