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Jede Zeit hat ihren Politikertypus. Schließlich neigt, wer sich seine Führung selbst aussuchen kann - naja, mehr oder weniger halt -, dazu, ein imaginiertes Abbild seiner selbst zu wählen. Ein klein wenig idealisiert natürlich, schließlich gehen die eigenen kleinen Sünden niemanden etwas an.
Wenn Aufbruch, Optimismus oder - noch besser - gar eine gewisse Lebenslust in der Luft liegen, lässt sich auch das allgemein-geheime Votum an der Wahlurne mitunter zu einer gewissen Leichtigkeit des Seins verführen. Manch bunter Vogel gelangt so zu politischen Ehren. Trifft dagegen diese allzu menschliche Grundtendenz auf eine eher düster grundierte Konstellation aus ökonomischer Verunsicherung und offensichtlichem moralischen Verfall leitender Angestellter der Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten, so feiert die Wertehierarchie des ansonsten gern verpönten Kleinbürgertums ihr Comeback. All die Paradiesvögel verlieren dann für die politische Bühne plötzlich ihren Reiz, und an ihrer Stelle feiern altbackene Werte wie Anständigkeit und Bodenhaftung ihre Auferstehung.
Die erste Reihe der nationalen Elite gleicht dann zum Verwechseln der Honoratiorenschaft einer x-beliebigen Kleinstadt. Menschen mit Ehrgeiz müssen sich diesem Rollenspiel der großen Gleichmacherei unterwerfen - in Österreich genauso wie in Deutschland, in Großbritannien, in den USA sowieso, und neuerdings sogar auch in diesbezüglich toleranteren Ländern wie Italien und Frankreich. Nichts anderes exerziert dieser Tage auch Milliardär Frank Stronach vor; er passt zwar nach keinem Maßstab in die hiesige Biederkeit, dennoch tut er alles, um sich das Prädikat "Einer von uns" anheften zu können.
Man kann das lächerlich finden oder bewundern, Tatsache bleibt, dass diese behauptete - und um nichts anderes handelt es sich bis zum Beweis des Gegenteils - Egalität von Politik und Bürgern ein beachtliches Glaubwürdigkeitsdefizit aufweist. Durch ständige Beteuerungen von noch mehr Anständigkeit, Bodenständigkeit und Ehrlichkeit wird sich das nicht ändern.
Wer oben steht, hat notwendigerweise eine andere Perspektive auf die sich ausbreitenden Verhältnisse. Wenn man dann noch weiß, wie sich die Welt von unten betrachtet anfühlt, ist das wunderbar, aber für sich genommen nicht hinreichend. So viel Selbstbewusstsein sollte sich die Politik zumuten.